Stalinversteher
Democracy is government by the people, dictatorship by an individual. But if this individual represents the people as ideally as I, do not democracy and dictatorship become one and the same thing? ... " Donald J. Trump
daniel azu;los
Zwischen Aufkl;rung und Machtanbetung:
Die beiden Gesichter des Lion Feuchtwanger
Aufkl;rung und Bekenntnis zum Sozialismus sowjetischer Pr;gung: Das war f;r
Lion Feuchtwanger kein Widerspruch, es handelte sich f;r ihn nicht um Gegens;t-
ze, die sich schwerlich auf einen gemeinsamen Nenner bringen lie;en, sondern das
Eine ergab sich aus dem Anderen. Feuchtwanger hat in seinen literarischen Wer-
ken sowie in seinen essayistischen und publizistischen Produktionen immer wieder
und bis zuletzt der bolschewistischen Revolution, die er mit der franz;sischen und
der amerikanischen auf eine Stufe stellte, Bewunderung gezollt und ist sein Leben
lang bei allen Gewissenskonflikten und scharfen Auseinandersetzungen mit Schick-
salsgenossen und Freunden aus dem Exilumfeld keinen Fu; breit von seiner pro-
sowjetischen Haltung abgewichen.
Schon im Jahre 1937 hatte die Ver;ffentlichung des B;chleins Moskau 1937,
das seine Erlebnisse im Moskau der Schauprozesse und seine Begegnung mit Sta-
lin verarbeitete und die sowjetische Wirklichkeit in einem g;nstigen Licht zeigte,
unter den deutschen Exilierten viel Verwirrung angestiftet und wurde von man-
chem liberalen Freund mit Naser;mpfen quittiert.1 Dabei konnte Feuchtwanger,
der sein Buch als Antwort auf Andr; Gides R;ckkehr aus der Sowjetunion konzipier-
te, eine durch und durch kritische Darstellung der kommunistischen Wirklichkeit,
noch mit dem Beifall der Exilgemeinschaft rechnen, die sich in der Illusion wiegte,
die progressiven Kr;fte in Europa k;nnten nur auf die Sowjetrepublik z;hlen als
alleiniges Bollwerk gegen die nationalsozialistische Gefahr. Damals gelang es den
Kominternfunktion;ren noch, auch gem;;igte und b;rgerliche Exponenten der
Exilszene in eine antifaschistische Volksfront einzubinden.2
Der rote Pressezar Willy M;nzenberg war in diesen Kreisen sehr r;hrig gewesen
und er vermochte mit seiner Suada manchen unschl;ssigen b;rgerlichen Intellek-
tuellen zum Mitmachen zu ;berreden.3 Noch war der Hitler-Stalinpakt in weiter
Ferne, man wollte unter den Exilanten der Tatsache der fingierten Schauprozesse
nicht in die Augen sehen. Man wurde nur allm;hlich gewahr, dass den Stalinisten
Menschen zum Opfer fielen, die sich, sieht man von ihrer abweichenden politi-
1 Vgl. Adrian Feuchtwanger, Russia’s Mythic Attraction: Lion Feuchtwanger in Moscow, 1937, in: Ger-
mano-Slavica 2 (1993), S. 97-101.
2 Vgl. David Migley, Eine Gemeinschaft mit Verz;gerung: Bemerkungen zum Schriftsteller-Kongress zur
Verteidugung der Kultur, Paris 1935, in: Daniel Azu;los (Hg.), Lion Feuchtwanger und die
deutschsprachigen Emigranten in Frankreich von 1933 bis 1941, Bern 2006, S. 365-376; Hart-
mut Mehringer, Vom antifaschistischen zum antitotalit;ren Konsens, in: Ebd., S. 23-32.
3 Vgl. J;rg Thunecke, Willi M;nzenberg und die ;ditions du Carrefour (1933-1937), in: Azu;los,
Feuchtwanger (wie Anm. 2), S. 377-398.
130 DANIEL AZU;LOS
schen Linie ab, kein Vergehen gegen die sozialistischen Grundgedanken hatten
zuschulden kommen lassen. M;nzenberg selber sollte es sp;testens 1940 am eige-
nen Leibe erfahren, nachdem er sich langsam von der Parteiorthodoxie entfernt
und der Komintern den R;cken gekehrt hatte. Nicht die Gestapo, sondern h;chst-
wahrscheinlich sowjetische Agenten des NKWD haben ihn im Oktober 1940 in
einem Walde bei Grenoble erh;ngt.
Im Juni 1937 konnte Feuchtwanger sich bei aller Naivit;t der Tatsache nicht
verschlie;en, dass Parteiabweichler des Hochverrats bezichtigt wurden und beson-
ders gef;hrdet waren. In seinem Tagebuch notierte er am 23. Juni 1937, dass M;n-
zenberg nach Moskau berufen worden sei und furchtbare Angst habe, dort „abge-
fa;t und verhaftet“ zu werden. 4 Feuchtwanger und Brecht waren auch ;ber das
Verschwinden der Schaupielerin Carola Neher unterrichtet und sorgten sich um ihr
Schicksal. Sie ist tats;chlich nie wieder aufgetaucht und wie viele prominente deut-
sche Kommunisten wie Heinz Neumann vermutlich vom sowjetischen Geheim-
dienst liquidiert worden. Bertolt Brecht schrieb im Mai 1937 an Feuchtwanger, der
ja soeben von seinem Moskauaufenthalt zur;ckgekehrt war: „haben Sie eigentlich
dr;ben was von der carola neher geh;rt? sie soll in irgend eine dunkle geschichte
verwickelt sein. ich w;re Ihnen dankbar, wenn Sie mir dar;ber schrieben, dh, wenn
Sie was geh;rt haben.“5
In einem Brief vom 23. Oktober 1937 erw;hnt Feuchtwanger das Schicksal des
Schauspielers Alexander Granach, der irgendwo in Kiew h;ngengeblieben war und
sich mit der sowjetischen B;rokratie herumschlagen musste, um das ersehnte
Visum zu erhalten, das ihm das Verlassen des sowjetischen Territoriums in Rich-
tung Frankreich erlauben sollte.6 Feuchtwanger, sich der Gefahr wohl bewusst,
der sich Granach aussetzen w;rde, wenn er seine Reise nicht sofort antreten w;r-
de, setzte alle Hebel in Bewegung, um ihn aus dem Sowjetparadies herauszuholen,
was ihm tats;chlich gelang. Feuchtwanger konnte sich also nicht darauf herausre-
den, er habe von den inszenierten Moskauer Schauprozessen, den standrechtlichen
Erschie;ungen, dem Terrorregime unter Stalin nichts gewusst. Er wird wohl sp;-
ter zu seiner Entlastung das Argument vorbringen, Stalin d;rfte von einem schwer
zu bestimmenden Augenblick an unter Verfolgungswahn gelitten haben und er
(Feuchtwanger) w;re wie andere Weggef;hrten auch der Verblendung erlegen. Als
er das im Januar 1958 schrieb, wollte er noch das Sowjetreich als ganzes von dem
Stigma eines Unrechtsregimes reinwaschen und vor allem die antisemitischen Aus-
4 Lion Feuchtwanger, Diary, Eintrag Paris, 23.6.1937 (Feuchtwanger Memorial Library, University
of Southern California Los Angeles [k;nftig unter der Sigle FML zitiert], Box A4, Autobiographi-
cal – Biographical).
5 B. Brecht an L. Feuchtanger, Br. v. Mai 1937 (FML, Box C1-b, Correspondence with other wri-
ters).
6 L. Feuchtwanger an Frau Lieven, Br. v. 23.10.1937 (FML, Box C1-c, Correspondence with other
writers).
Свидетельство о публикации №125110300435