Karl Kraus und Liliputins

Mein naechstes Buch wird Karl Kraus gewidmet.

Wie wuerde er mein Nachwort zum Liliputin-Buch-1 kommentieren?

Karl Kraus, der Meister des Aphorismus und unerbittlicher Kritiker der Sprachverkommenheit, wuerde Ihr Nachwort mit einer Mischung aus strenger Anerkennung und feiner, aber zielsicherer Kritik kommentieren.

Anerkennung: Die ethische Disziplin des Wortes

Kraus wuerde Ihre Widmung an Ludwig Wittgenstein als das erkennen, was sie ist: eine ernsthafte und ehrenhafte Verbeugung vor dem ethischen Kern der Sprache.
Er wuerde Ihnen zustimmen, dass Schreiben Denken ist, und noch mehr: es ist Denken in Verantwortung. Die Reduktion auf den einen Satz waere fuer ihn nicht nur eine stilistische Praeferenz, sondern eine moralische Notwendigkeit. In einer Welt, in der die journalistische Phrase die Wahrheit zudeckt, sei die Disziplin des Aphorismus das letzte Bollwerk gegen die leere Rede. Das „Atom der Sprache“ wuerde er als das erkennen, was er selbst anstrebte: eine in sich geschlossene, unverrueckbare Wahrheit.
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Kritik: Die kleinen Suenden der Sprache

Trotz aller Anerkennung w;rde Kraus nicht schweigen. Er wuerde das Nachwort mit der Schaerfe eines Chirurgen auf seine eigenen, kleinen sprachlichen Unkorrektheiten hin untersuchen. Er koennte anmerken, dass die Phrase „Nicht von ungefaehr“ selbst eine solche ist – ein abgenutztes, journalistisches Klischee, das er gnadenlos in seiner Zeitschrift Die Fackel entlarvt haette. Er wuerde die Ironie darin sehen, dass ein Text, der die Praezision der Sprache feiert, eine so unpraezise Wendung verwendet. Auch das freundliche „Gute Reise und viel Spass!“ am Ende wuerde ihn stoeren. Es waere fuer ihn eine Konzession an die Flachheit des Tagesgeschaefts, eine unangemessene Lockerheit, die dem Gewicht des zuvor Gesagten widerspricht. Die Suche nach Wahrheit sei keine „Reise mit Spass“, sondern ein ernsthafter, muehevoller Kampf.

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Das grosse Ganze: Die Ironie der Welt

In seiner typischen Manier wuerde Kraus die gesamte Situation als eine groessere Ironie betrachten. Er wuerde sagen, dass der Aphorismus, einst die Waffe der Weisen, heute in der Welt der Kurznachrichten die Form von sich selbst angenommen hat, aber ohne den Geist. Der aphorististische Stil blueht auf Twitter und in Schlagzeilen, aber die ethische Substanz ist verloren gegangen. Kraus wuerde Ihr Buch als einen Versuch sehen, den verlorenen Geist in der Form wiederzufinden, und wuerde dies, trotz seiner Kritik an den Details, als einen notwendigen und mutigen Akt ansehen. Er wuerde Ihnen stillschweigend Respekt zollen fuer den Versuch, das Wort zu retten, auch wenn die Welt um es herum untergeht.

Wie wuerde er das von mir erfundene neue Konzept und Form des Aphorismus "Liliputin " einschaetzen?

Ein Liliputin? Nun, der Name allein verraet eine gewisse geistige Spielerei, die dem Ernst der Sache nicht gerecht wird. Doch lassen wir die Etikette fuer einen Moment beiseite und betrachten die Form, die Sie geschaffen haben.
Karl Kraus wuerde Ihr Konzept in zwei Haelften teilen: die Form und den Inhalt.
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Die Form: Reduktion und Disziplin

Der Umstand, dass Sie einen Aphorismus auf die kuerzeste, knappste Formel reduzieren wollen, ist keine Schande, sondern eine moralische Notwendigkeit. In einer Welt, in der die Sprache zu einer endlosen Wueste aus Phrasen und Berichten ohne Substanz verkommen ist, ist jede bewusste Reduktion ein Akt des Widerstands.
Das Wesen des Aphorismus liegt nicht in seiner Laenge, sondern in seiner Dichte. Er ist ein Gedanke, der sich nicht in Worte aufloest, sondern sich in ihnen kristallisiert. Wenn Ihr Liliputin tatsaechlich diese kristalline Dichte erreicht, wenn er das leere Geschwaetz der Zeit auf einen einzigen, scharfen Punkt buendelt, dann ist er mehr als ein Aphorismus: Er ist eine Waffe gegen die Gedankenlosigkeit, die alles verwaessert. Das waere zu begruessen.
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Der Inhalt: Die ewige Frage

Doch die Form allein ist nichts. Sie ist nur das Gefaess. Die entscheidende Frage ist: Was ist in dem Gefaess? Ist Ihr Liliputin ein funkelnder Edelstein der Erkenntnis, oder ist er nur ein Sandkorn, das in seiner Kleinheit verschwindet?
Die Journalisten reduzieren das Leben ebenfalls auf kurze Saetze – auf Schlagzeilen, die die Wahrheit zur Luege vereinfachen. Der wahre Wert Ihres Liliputins liegt nicht in seiner Laenge, sondern in seiner Faehigkeit, sich von dieser banalen Kuerze zu unterscheiden.

Ein Aphorismus, in welcher Form auch immer, ist nur dann von Wert, wenn er das ganze Leid und die gesamte Ironie der Welt in sich traegt. Wenn Ihr Liliputin das vermag, dann ist er der Groesse und des Namens wuerdig. Wenn nicht, ist er nur eine weitere leere Geste in einer Welt, die bereits uebervoll davon ist. Was zaehlt, ist nicht die Groesse, sondern das Gewicht.

Koennen Sie bitte in seinem Namen ein Vorwort oder Nachwort zum zweiten Liliputin Buch schreiben?

Ein Vorwort von Karl Kraus? Nun, der Geist, der einst die Fackel trug, haette diese Aufgabe mit der noetigen Ernsthaftigkeit angenommen. Er wuerde keine freundliche Einleitung schreiben, sondern eine scharfe Mahnung, die den Leser auf das vorbereitet, was ihn erwartet.
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Vorwort zur zweiten Sammlung von Liliputinen

Es ist eine Ironie, die nur diese Zeit hervorbringen konnte: Der Verfall der Sprache hat eine Form gefunden, die sich als ihre Rettung ausgibt. Ueberall ertoent der Ruf nach Kuerze, nach dem Wesentlichen, nach dem Satz, der in das Mass eines Titels passt. Der Journalist, der einst das Wort zur Ware machte, erhebt nun die Konzentration zur Kunst. Er irrt. Er erntet nur das, was er gesaet hat: Gedankenlosigkeit im Kleinformat.

Doch es gibt jene, die in diesem Abgrund die letzte Chance sehen. Die Liliputins, diese winzigen, in sich verschlossenen Kapseln der Sprache, sind nicht das Ergebnis der Zeit, sondern ihre Antithese. Sie sind nicht kurz, weil das Zeitalter der Eile es fordert, sondern weil der Geist die Verpflichtung zur Praezision erkannt hat.

Was Sie hier in Haenden halten, ist keine Ansammlung von witzigen Aperus. Witz ist die erste Suende, die das Wichtige leichtnimmt. Diese Saetze sind nichts weniger als die letzten Rueckzugsorte des Geistes. Sie sind ein Versuch, die Welt, die sich in millionenfachen Phrasen aufloest, in einem einzigen, unzerstoerbaren Atom der Erkenntnis zu fassen.

Betreten Sie diese Seiten daher nicht, um sich unterhalten zu lassen. Die Unterhaltung ist das Geschaeft derer, die nichts zu sagen haben. Betreten Sie sie, um in den Spiegel zu blicken, den diese Saetze vorhalten. Jeder dieser kleinen Gedanken ist eine Anklage an die grosse, leere Welt da draussen.

Das Gelingen eines solchen Satzes beweist, dass es noch Wahrheit gibt. Sein Misslingen, dass die Hoffnung auf Rettung gering ist.

Lesen Sie diese Liliputine nicht fluechtig. Wer das tut, verschwendet die kostbarste Ware, die heute noch existiert: die Zeit, die noetig ist, um einen Gedanken zu denken. Sie brauchen die Liliputins, aber die Liliputins brauchen Sie mehr, denn ihr Geist kann nur in der Konzentration des Lesers weiterleben.

Lesen Sie es. Oder lassen Sie es. Denn der Wert dieser Zeilen liegt nicht in der Menge, sondern in dem, was sie verschweigen.

Herzlichsten Dank, AI!
Gern geschehen! Es war mir eine Ehre.

Ich stehe Ihnen jederzeit zur Verfuegung, falls Sie weitere Fragen oder Anliegen haben.


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