Die kleine Eiszeit

Gott, der Teufel und das Wetter


Neue Z;richer Zeitung, 24./25. Januar 2004, S. 47

Gott, der Teufel und das Wetter

Die Kleine Eiszeit, eine fr;hneuzeitliche Klimakatastrophe

Von Bernd Roeck

Ein Klimawandel in den sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts - die H;ufung kalter Winter und verregneter Sommer - zog ;nderungen im sozialen Klima Europas nach sich. Zu ihnen geh;rten auch die markant zunehmenden Hexenverfolgungen.

Den Leuten im Remstal um Stuttgart schien der J;ngste Tag gekommen an diesem 3. August des Jahres 1562. Mitten im sch;nsten Vormittag verfinsterte sich die Sonne, als w;re es Nacht, ein Sturm kam auf, jagte die Wolken ;ber Felder und Weinberge. Erst fielen nur ein paar Tropfen, dann  prasselte der Hagel zu Boden - zwei, drei Stunden lang. Die Eisbrocken durchschlugen die  D;cher, zerschmetterten das Getreide, t;teten selbst H;hner und anderes Federvieh. Bald standen die B;ume da ohne Bl;tter und Obst, als w;re es Winter. «Ach Gott, was soll ich sagen»,  res;miert der Autor einer zeitgen;ssischen Flugschrift: «W;rttemberg ist in 100 Jahren nit so arm und der massen erschlagen und verderbt an Leib und Gut, als jetzt.»

Das Gewitter war nur Pr;ludium. Die verregneten Sommer h;uften sich, w;hrend langer Monate war oft kein Sonnenstrahl zu sehen; die Winter wurden k;lter, und sie dauerten l;nger. Eine Memminger Chronik berichtet, 1570 habe ein «grausamer, schneeiger, windiger kalter, strenger und unver;nderlicher Winter» geherrscht. Im tiefen Schnee sei es unm;glich gewesen, von einem Dorf zum anderen zu gelangen. Bodensee, Z;richsee und andere Alpenseen froren zu. Das Wintergetreide verdarb. Im Jahr darauf kam es zu einer der schlimmsten Hungerkrisen der fr;hen  Neuzeit. Die Natur erstarrte in klirrendem Frost. Verzweifelte Menschen versuchten, sich von Gras und Baumrinde zu ern;hren. Der Hunger trieb das Wild aus den W;ldern: Ernst Egli, Pfarrer von Chur, schreibt in einem Brief an Heinrich Bullinger davon, wie drei N;herinnen bei Zizers von W;lfen angefallen worden seien. Allein in den s;ddeutschen Reichsst;dten d;rften Hunger und K;lte Tausende von Opfern gefordert haben.

WINTERBILDER

Die historische Forschung hat die verstreuten Nachrichten der Chroniken und Flugschriften zu einem schl;ssigen Gesamtbild zusammengef;gt. Die «Wettemachhersage», wie der Berner Historiker Christian Pfister die Klimageschichte nennt, zeigt ein Ph;nomen, das inzwischen als «Kleine Eiszeit» bekannt ist. Der Klimawandel, der sich seit den sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts bemerkbar machte, betraf ganz Europa. Selbst aus der Toskana oder dem Languedoc wurden ungew;hnliche K;lteeinbr;che gemeldet, an die holl;ndische K;ste brandeten gewaltige Sturmfluten.

Besonders auff;llige Hinweise auf die Kleine Eiszeit finden sich in der Malerei. 1565 erlebt Europa einen Jahrhundertwinter; zu dieser Zeit entstehen die ersten grossformatigen Winterbilder der Kunstgeschichte, Pieter Bruegels Monatsbilder in Wien und seine «Anbetung der K;nige» in Winterthurs Sammlung Reinhart. Es ist Kunst, die buchst;blich aus der K;lte kommt. Sie begr;ndet eine Gattung, die mit den Werken Hendrik Avercamps, Aert van der Neers und vieler anderer parallel zur Kleinen Eiszeit einen Aufschwung erlebt - verschneite Landschaften und zugefrorene Seen. Vieles darauf ist inszeniert, die grossen Berge etwa, die es in Holland nicht gibt. Der Schnee aber, mit. dem Bruegel und seine Kollegen ihre Landschaften bestreuten, ist ein bis heute nicht geschmolzener ;berrest der «Kleinen Eiszeit».            

Der Begriff meint keineswegs,  dass  es  ununterbrochen schneite. Auch das Absinken der Durchschnittstemperaturen um etwa 1,5  Grad wirkt auf den ersten Blick  nicht allzu dramatisch. Fatale Folgen aber hatte der Umstand, dass sich immer wieder «Cluster» von  extrem kaltem Winter und regenreichem Sommer formten. Oft wurde, was an Feldfr;chten noch auf den Halmen stand, von Pilzen befallen. Seuchen reduzierten die Viehbest;nde. Holz und andere Brennstoffe wurden knapp. Es kam zur  ersten Energiekrise der neueren Geschichte. Eine vereinzelte Missernte  konnte die fr;hneuzeitliche ;konomie noch verkraften; die Kornspeicher der meisten St;dte bewahrten Getreidevorr;te, die  f;r acht bis zw;lf Monate hinreichten. Wenn allerdings zwei oder gar drei schlechte Jahre aufeinander folgten, gerieten die Preise ausser Kontrolle, die Menschen hungerten. Aus Totenregistern gefertigte Statistiken zeigen dann Jahr f;r Jahr spitze Gipfel; Zahlen, hinter denen sich tausendfaches Elend verbirgt.       

Die Leichenberge der Statistik wurden allerdings nicht allein von der Kleinen Eiszeit produziert. Das Wetter agierte im Verbund mit anderen Killern, mit Epidemien wie Pest, Typhus und Ruhr, die unter der schlecht ern;hrten Bev;lkerung zahlreiche Opfer fanden. Dazu kamen die Folgen der zahlreichen Kriege um Glauben und Macht, die den Kontinent ;berzogen.

Der Westen wurde von den Hugenottenkriegen und dem niederl;ndischen Unabh;ngigkeitskampf ersch;ttert; auf dem Atlantik lieferten sich die Flotten Englands und Spaniens erbitterte Auseinandersetzungen, und im S;dosten tobte der Abwehrkampf gegen die T;rken.

Die Krise l;sst sich auch ;ber mentalit;tsgeschichtliche Befunde fassen. Viele Quellen spiegeln Endzeiterwartung, lassen eine gedr;ckte, melancholische Stimmung sp;ren. Der Emblematiker Johannes Sambucus schreibt 1566 zu einem Holzschnitt, der in der Sonne schmelzenden Schnee zeigt: «Wenn ein Menschenleben seinen Gipfel erreicht hat, sinkt es oft dahin, und nichts, was der schwarze Tag raubt, ist ewig. Der Tod macht alle gleich und schont den Reichen nicht eine Stunde lang. Und w;hrend die Worte prahlen, kommt er rasch. Wehe, m;helos treibt jeder Wind uns, die wir machtlos sind, und wir sinken schneller, als ein Hauch die Rosen entbl;ttert.»  Und  der Augsburger  Humanist  Marcus Welser klagt um 1600 gegen;ber seinem Briefpartner Justus Lipsius: «Finsternis und Unkultur drohen und verbreiten sich ;ber die sch;nen Lande Europas.»

;ber die Ursachen des Klimadesasters kann bis heute nur spekuliert werden. Die Analyse von Bohrkernen aus dem Eis Gr;nlands erbrachte neuerdings Hinweise auf eine Zunahme vulkanischer Aktivit;t. Die Abk;hlung der Atmosph;re, meinen die Fachleute, k;nnte dadurch ausgel;st  worden sein. Den Menschen der fr;hen Neuzeit blieben solche naturwissenschaftlichen Erkl;rungen fremd. Ihre Rationalit;t war von anderer Art. Sie verorteten sich in einem Kosmos, in dem Gesetze von Belohnung und Strafe, von Gnade und Verdammung herrschten. ;ber die Erscheinungen der physischen Welt, etwa ;ber die Sterne oder das Wetter, offenbarte Gott seine Erw;gungen, seinen Zorn und seine Verheissungen.

DEUTUNGSMUSTER

Die astrologische Spekulation hatte Hochkonjunktur; sie bietet nur ein besonders bekanntes exegetisches Modell. Nichts «war» einfach, alles stand wenigstens im Verdacht, etwas zu bedeuten. Die Natur erschien als Buch, dessen auf den ersten Blick r;tselhafte Texte mit denen des anderen grossen Buches, der Bibel, abgeglichen und dechiffriert werden  konnten. Eine ;berschwemmung wie das N;rnberger Jahrhunderthochwasser 1595 wurde demgem;ss nicht allein als irdisches Ungl;ck gedeutet, sondern auch als Metapher. Man las es als Bild der Sintflut, als Strafe und Mahnung. Selbst ;ber die Schneeflocken, die im Hungerwinter 1570/71 vom Himmel wirbelten, teilte Gott sich mit: Die Kleine Eiszeit kommentierte den Gang der Geschichte.

Von den Kanzeln herab verk;ndeten die Prediger das Deutungsmuster, die Zeitungsschreiber garnierten ihre Sensationsberichte damit. Es fand Eingang in das Gerede der Leute, dr;ngte sich in die K;pfe. S;mtliche Aufschreibesysteme der Zeit bem;chtigten sich der Wetterph;nomene, verzettelten das Chaos von Regen, Hagel und Eis. Mit der zweiten H;lfte des 16. Jahrhunderts verdichtet sich die ;berlieferung: Monat f;r Monat, manchmal Tag f;r Tag wird notiert und interpretiert, was der Himmel mitteilt. Die monumentale  Chronik, die der Z;rcher Chorherr Johann Jakob Wick zwischen 1560 und 1588, zeitgleich zum Klimatief, anlegte - sie wird in der  Z;rcher Zentralbibliothek aufbewahrt -, zeigt Seite f;r Seite das angestrengte Bem;hen, der geheimen Logik der Naturerscheinungen auf die Spur zu kommen.

Die Rede der Theologen, katholischer wie reformierter, wirkte der unheimlichen Ahnung entgegen, das ;bel breche zuf;llig, ohne jeden Sinn, ;ber die Menschen herein. Man konnte etwas tun, um die Strafe abzuwenden, beten, Busse tun. Nur durch die Moralisierung der Gesellschaft, davon d;rften die meisten Zeitgenossen ;berzeugt gewesen sein, liess sich die Misere an der Wurzel treffen. Eine wachsende Flut von Polizeiordnungen, Mandaten und Gesetzen ergoss sich ;ber die Leute. Nicht nur aus wirtschaftlichen  Gr;nden  versuchten die Obrigkeiten, Luxus, «;berm;ssiges Fressen und Saufen» und Unzucht aller Art zu unterbinden. Es ging ums Seelenheil und ums ;berleben der Leiber, die man von Gottes Strafen bedroht glaubte.

Das Unangenehme am Diskurs vom r;chenden Gott war, dass dadurch die Gr;nde f;r das schlechte Wetter und andere Plagen ins Innere der Gesellschaften, ja in die Finsternis der Herzen verlegt wurden. Es waren irritierende Vorw;rfe, die grundlegende Zweifel an der Verfassung der christlichen  Gemeinschaften n;hren  mussten. War hier wirklich so viel S;nde angeh;uft, dass dadurch jene F;lle an Strafen, mit der Gott seine Kreaturen ;berzog, zu begr;nden war? Die Antwort auf diese Frage war ebenso furchtbar wie bizarr. Sie bestand in der Konstruktion der «Superverbrecherin» der fr;hen Neuzeit, der Hexe, und des schwarzen Magiers, ihres m;nnlichen Pendants. Die Versatzst;cke f;r die Sch;pfung dieser Ungeheuer lagen seit dem Mittelalter bereit. Theologische Traktate, unter denen der «Hexenhammer» der einflussreichste war, hatten die Umrisse einer kriminellen Identit;t formuliert. Sie gaben der Rasterfahndung die Richtung: das Muster eines Phantasiewesens, das sich durch Pakt und Beischlaf mit dem Teufel verband,  durch die L;fte flog, Menschen und Tieren Schaden zuf;gte. Insbesondere sollten sich die Hexen darauf verstehen, Hagel und Gewitter, Eis und Schnee zu machen.

Indem man die «Unholden» zu Meistern des Wetters machte, war der Zusammenhang mit der Kleinen Eiszeit .hergestellt: In merkw;rdig verquerer Logik wurden sie als Werkzeuge g;ttlicher  Strafe gesehen: Da Gott allm;chtig war, konnten sie ihre verderbliche Aktivit;t ohne «Lizenz zum  B;sen» nicht entfalten; die Frage, warum Gott sie gew;hren liess und das schlechtere Wetter nicht gleich selbst herbeif;hrte, stellten nur wenige. Ein paar Skeptiker, die den ganzen Hexenglauben ;berhaupt f;r Unsinn hielten, drangen mit ihren Argumenten nicht durch.

Zu n;tzlich war das Hexenmuster f;r den mentalen  Haushalt der fr;hneuzeitlichen  «Risikogesellschaften». In der Hexe gewann das Grauen Gestalt, war das Bedrohliche dingfest gemacht. In ihr, die sich willentlich mit dem Teufel eingelassen hatte, war das «B;se» konzentriert, sie war der schuldbeladene S;ndenbock. Die «inneren D;monen Europas» (Nonnan Cohn) boten Erkl;rungen daf;r, warum es kalt war und die Ernte verdarb. Allein ihre Existenz begr;ndete, weshalb sich die Verh;ltnisse nicht besserten, obwohl man sich doch gottgef;llig verhielt, betete und Alm;sen gab. So erscheint die Hexe als Paradox: als Golem, der wohl psychotische Furcht n;hrte - zugleich aber auch als Fetisch, der diie Illusion vermittelte, etwas Entscheidendes gegen alle m;glichen ;bel und diffusen Bedrohungen tun zu k;nnen.

VERFOLGUNGSWELLEN

Die  landl;ufige  Vorstellung,  die  grossen Hexenjagden h;tten im «finsteren Mittelalter» stattgefunden, ist mithin falsch. Die Verfolgungen waren neuzeitliche, der Kleinen Eiszeit weitgehend parallele Vorg;nge. Bezeichnenderweise standen die ersten Massenhinrichtungen im Deutschen Reich in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Wettergeschehen. 1562, nach den Hagelst;rmen des Sommers, wurden in Wiesensteig auf der Schw;bischen Alb 63 Hexen und Hexer verbrannt. Um 1590 eskalierte die Entwicklung. In ganz Europa kam es zu Verfolgungen, mit Abertausenden von Opfern. Eine dritte Prozesswelle erlebte das Reich zwischen 1626 und 1630, als zu den Leiden des Dreissigj;hrigen Krieges erneut die Auswirkungen einer Sequenz extrem ung;nstiger Wetterlagen kamen.

Es waren keineswegs nur fanatische Kleriker und sittenstrenge F;rsten, von denen die Hexenjagden veranlasst wurden. Sehr oft kam der Druck, gegen die imagin;ren Geistwesen vorzugehen, aus dem Volk. Als 1626 im Fr;nkischen Korn und Wein erfroren, gab es ein «grosses Flehen und Bitten unter dem gemeinen P;ffel, warumb man so lang zusehe, dass allbereit die Unholden und Zauberer die Fr;chten verderben». Man bat den Bamberger F;rstbischof, einzuschreiten. Solche Stimmungen standen am Anfang vieler Verfahren. Da wurde dann die eine oder andere Verd;chtige angezeigt; die M;hlen der Justiz kamen in Gang. Verh;re und Folter erzwangen die Gest;ndnisse. Wegen Hexerei verurteilten Kindern wurde wenigstens die «Gnade» zuteil, nicht verbrannt oder gek;pft zu werden. Man ;ffnete ihnen die Pulsadern und gew;hrte ihnen so einen milderen Tod. Die meisten Angeklagten - aufs Ganze gerechnet etwa 80 Prozent der Delinquenten - waren Frauen. Keine Glaubensrichtung blieb verschont. Es scheint, dass die konfessionelle Konkurrenz in manchen Regionen den Eifer, das B;se auszumerzen, zus;tzlich stimulierte.

Fatale Folgen hatte die Vorstellung, die Hexen tr;fen sich zum Sabbat, wo finstere Orgien gefeiert w;rden, man dem Teufel huldigte und Gott verh;hnte. Denn die Richter versuchten, die Namen von Komplizinnen und Komplizen, die beim Sabbat dabei gewesen sein sollen, zu erpressen. So kam es zu Kettenreaktionen. Immer neue Namen wurden den Folterknechten zu Protokoll gegeben, immer mehr Unschuldige wurden ins Feuer geschickt.

Das 17. S;kulum blieb nicht nur ein «eisernes» Jahrhundert, sondern auch ein eisiges. Erst an seinem Ende, kurioserweise parallel zum Durchbruch der Aufkl;rung, stiegen die Temperaturen wieder an. Die Hexenpaniken ebbten ab. Um 1660 kam es zu einer letzten grossen Verfolgungswelle; danach fanden nur noch vereinzelt Prozesse statt. Die letzte legale Hexenhinrichtung erlebte das schweizerische Glarus 1782. Seinen wichtigsten Grund hatte das Ende der Verfolgungen allerdings nicht im sonnigeren Wetter des 18. Jahrhunderts, sondern in einem Mentalit;tswandel der Eliten. Die staatlichen Organe zeigten zusehends weniger Neigung, Hexenprozesse zu inszenieren. Das Verl;schen der Scheiterhaufen ist eklatantes Indiz daf;r, dass sich ein rationalerer  Umgang  mit  den Erscheinungen der Natur Bahn brach. Dem wissenschaftlichen Paradigmenwechsel entsprach die Wendung hin zu einem toleranten Umgang mit religi;sen Angelegenheiten. Eine der Voraussetzungen daf;r d;rfte die ern;chternde Erfahrung jener d;steren und kalten Epoche des Hungers und der Glaubenskriege gewesen sein, die von der Kleinen Eiszeit ihre Pr;gung erfuhr.

 

(Vorspann) ”Das Frauenhofer-lnstitut f;r Rechnerarchitektur und Softwaretechnik FIRST pr;sentiert ein interaktives Simulationsprogramm, das die Folgen menschlichen Handelns auf die Umwelt deutlich macht... In einer virtuellen Welt zeigt M3 (ihr Projekt H.B.) im Zeitraffer, wie sich das Leben und Wirtschaften von Menschen auf ihre unmittelbare Umwelt auswirkt" (aus der Presseerkl;rung von FIRST vom 7.10.02)

Jemand mu; ja schuld sein

Dr. Helmut B;ttiger

Bekanntlich droht uns wieder einmal eine Klimakatastrophe. Fr;her wurden zwar vor allem dauernde K;lteeinbr;che als katastrophal empfunden, w;hrend es sich bei der zeitgen;ssischen eher um das Gegenteil handeln soll, um eine Klimaerw;rmung. Doch in beiden F;llen, in der erfahrenen Klimakatastrophe der Kleinen Eiszeit, ein vierhundertj;hriger K;lteeinbruch mit nur gelegentlich w;rmeren Phasen, wie bei der heutigen Klimaerw;rmung stellt sich vielen Leuten die entscheidende Frage: Wo liegen die Ursachen?

Um von einer Seite aus in diese wichtige Frage etwas mehr Klarheit zu bringen, wollen wir die heutige Klimakampagne mit der damaligen vergleichen. Wie schon f;r die Kleine Eiszeit, die F. E. Matthes 1939 zum ersten Mal so nannte und die unterschiedliche Gelehrte zeitlich unterschiedlich aber im wesentlichen zwischen 1430 und 1860 ansetzten, wurde auch f;r die moderne Klimakatastrophe menschliches Fehlverhalten verantwortlich gemacht. Heute wird die S;nde bekanntlich im ;berm;;igen Konsum gesucht, der mit dem Gebrauch so genannter fossiler Brennstoffe, die den CO2-Gehalt der Luft ansteigen lassen, in Verbindung steht. Diese Art der Schuldzuweisungen erwies sich als so ;berzeugend, dass Rot-Gr;n in Mitten des von ihnen mitzuverantwortenden Wirtschaftsdesasters heute ;hnlich wie kleinere Adelige und schw;chere Stadtregierungen w;hrend der Kleinen Eiszeit, damit ihre Macht, heute also die Wahlen f;r sich behaupten konnten.

Auch die modernen Klimaschuldzuweiser bleiben, wie ihre Vorg;nger w;hrend der Kleinen Eiszeit Antworten auf wesentliche Fragen, die mit ihrer Schuldzuweisung zusammenh;ngen schuldig. Im Unterschied zu den Zeiten der Kleinen Eiszeit handelt es sich heute allerdings weniger um abstrakt zu entscheidende, theologische Fragen, sondern um solche, die sich aus messbaren Tatsachen ergeben. So k;nnen sie zum Beispiel, um nur drei zu erw;hnen, nicht sagen, 1. warum der gr;;te Teil der Klimaerw;rmung in die Jahre unmittelbar nach der kleinen Eiszeit von 1860 bis 1940 fiel, also lange bevor der Konsum und die CO2-Emissionen eigentlich so richtig in Gang gekommen sind. 2. warum der H;hepunkt der Klimaerw;rmung in den 1940er Jahren ausgerechnet mit einer einzigartigen aber deutlich ausgepr;gten Minderung des CO2-Anteils in der Luft einherging. 3. warum die Klimaerw;rmung zwischen den 1940er und den 1970er Jahren in eine Abk;hlung umgeschlagen war, wo doch gerade in diesem Zeitraum die CO2-Freisetzung mit nahezu einer Verdreifachung in diesem Zeitraum ihren H;hepunkt erreicht hatte. Dabei ist zu ber;cksichtigen, dass sich nach der Treibhauseffekt-Hypothese, die w;rmenden Auswirkungen des CO2 auf das Klima, wenn es sie geben sollte, unmittelbar und nicht mit irgendwelchen Verz;gerungen bemerkbar machen m;;te.

Doch wie sah es w;hrend der Kleinen Eiszeit aus? Am 3. August 1562 traf nach Augenzeugenberichten eine Gewitterfront auf Mitteleuropa. Der Himmel verdunkelte sich um Mittag

und heftige St;rme deckten D;cher ab und zerst;rten Fenster, dem folgte ein Hagel, der bis

Mitternacht dauerte. Der vernichtete nicht nur die Ernte und verw;stete die W;lder, sondern t;tete V;gel, wilde Tiere und Haustiere auf den Feldern, darunter auch Pferde und K;he. Reisende berichteten, dass ;berall zwischen Wien und Br;ssel die gleichen Sch;den zu sehen waren. Die Gewitterfront musste sich
;ber mehrere hundert Kilometer erstreckt haben. Nach damaligem Wissensstand konnte das Unwetter nur ein Zeichen entweder von Gottes Unmut oder des ungebremsten W;ten des Teufels oder von Menschen verursacht worden sein, dem Wissensstand entsprechend durch Hexerei.

Mit Einsetzen des Klimaumschwungs der kleinen Eiszeit, der mit kalten verregneten Sommern, strengen Wintern, mit Missernten und Hungersn;ten einherging, kam es auch zu den ersten Hexenverfolgungen in den zun;chst am schlimmsten betroffenen Alpent;lern, in Norditalien und S;dfrankreich. Die Kirche und ihre Theologen widerstanden dem Mob in den l;ndlichen Regionen zun;chst. Erst um 1480 beugte sie sich der popul;ren Mehrheitsmeinung. Um l484 erkl;rte Papst Innozenz der VIII. auf Dr;ngen des Dominikanerm;nchs Heinrich Kramer in seiner Bulle ”Summis desiderantes affectibus", dass Menschen (Hexen) tats;chlich auf das Wetter katastrophalen Einflu; nehmen k;nnten. Kramer selbst brachte dann seinen ber;chtigten ”Hexen Hammer" heraus und l;ste damit und mit dem p;pstlichen Freibrief in den am meisten von Unwettern und Missernten betroffenen Gebieten Hexenprogrome aus.

Kramer und die Dominikaner zogen sich allerdings auch die heftige Kritik der Humanisten wie Erasmus von Rotterdam, Andrea Alciat und Agrippa von Nettesheim zu. Zu Beginn der Reformation kamen diese ersten Hexenverfolgungen bald wieder zum Erliegen. Der Gesetzes-Codex Karls V, die Constitutio Criminalis Carolina von 1532 (eine Verfassung, die es nach westlicher Meinung von Deutschland eigentlich gar nicht gegeben haben d;rfte) verurteilte zwar die traditionelle Zauberei, legte aber so strenge Verfahrensvorschriften (processus Ordinarius) fest, da; Hexerei und Wetterbeeinflussung nicht nachgewiesen werden konnten. Die Hexenverfolgung schien nach Meinung der damaligen Zeitgenossen damit endg;ltig vor;ber zu sein - bis es zu den dramatischen Wettereinbr;chen und weiteren Klimaverschlimmerungen in den 1560er Jahren (wor;ber es zahlreiche sehr detaillierte Berichte von Zeitgenossen gibt) und entsprechenden Hungersn;ten und Teuerungen kam.

Die meisten Gelehrten der Zeit, r;misch-katholische, lutherische und calvinistische sahen in den Ereignissen die Strafe Gottes f;r das s;ndige Verhalten der Menschen. W;hrend die ordentlich regierten gro;en St;dte und gr;;eren Territorien ruhig blieben, setzten auf dem Land in unsicheren Verh;ltnissen die Hexenverfolgungen bald wieder ein. Durch Eingaben, Protestveranstaltungen und dergl. zwang die Bev;lkerung zum Beispiel den Grafen von Rechberg in Illereichen nach zun;chst heftigen Widerst;nden (also demokratisch), einige Frauen als Hexen festzunehmen und ihnen den Proze; machen zu lassen. Die Folter und damit erzwungene Gest;ndnisse sorgten daf;r, dass sich diese Prozesse rasch ausweiteten. Zur schlimmen Verfolgung kam es nach den verf;gbaren ;berlieferungen aus der Zeit in Wiesensteig, das dem lutherischen Grafen Helfenstein unterstand. Hier wurden 63 Frauen als Hexen verbrannt.

Die Ungeheuerlichkeiten dieser Verfolgungen regten die Menschen damals noch auf und entfachten eine lebhafte Debatte dar;ber, ob Menschen (Hexen) ;berhaupt Einflu; auf das Wetter nehmen k;nnten. Der lutherische Prediger Thomas Naogeorgius aus Esslingen unterst;tzte die Volksmeinung und verlangte vom Magistrat die Verfolgung der Hexen. Dagegen hatte das ebenfalls lutherische Dekanat im nahe gelegenen Stuttgart nach einer Hexenverbrennung das Unwesen beendet. Naogeorgius Meinung, dass Hexen das Wetter beeinflussen k;nnten, wurde von seinen theologischen Br;dern, die sich dabei auf den Reformator Johannes Brenz beriefen, heftig bek;mpft und theologisch verurteilt. Allerdings konnten sich diese Theologen dann doch nicht ganz gegen den Druck der Stra;e durchsetzen. Sie gaben zu, dass Hexen, weil sie mit dem B;sen in Kontakt getreten seien, was ein denkbar gr;;tes, geistiges Verbrechen sei, verfolgt werden k;nnten oder sogar sollten. Das rief den theologisch gebildeten Arzt am Hofe Wilhelm von J;lich Kleve auf den Plan, der Brenz und die Stuttgarter heftig wegen ihrer Inkonsequenz angriff und das
Hexenverbrennen insgesamt und nicht nur wegen des Wettermachens aufs sch;rfste verurteilte und den Theologen, weil sie auf seine Argumente nicht eingehen wollten, die gleiche Ungerechtigkeit und Blutr;nstigkeit wie den Dominikanern vorwarf.

Mit zunehmender Verschlechterung des Klimas weiteten sich die Hexenprozesse und -verbrennungen aus. Sie stehen aufgrund der zeitgen;ssischen Berichterstattung un;bersehbar in jeweils unmittelbarem Zusammenhang zu wetterbedingten Missernten, Teuerungen und Hungersn;ten. Bis 1620 wurden auf diese Weise in allen Teilen Europas aber zunehmend in dem vom Klimawandel am h;rtesten betroffenen Mitteleuropa 2700 Personen nach Hexenprozessen ”legal" und aufgrund wissenschaftlicher Gutachten, die der damals herrschenden Meinung entsprachen, ermordet. Selbst so wichtige Vertreter der damaligen geistigen Elite wie Jean Bodin, Peter Binsfeld (Bischof in Trier), Nicolas R;my oder James VI von Schottland (James I von UK), um nur einige zu nennen, konnten sich der herrschenden Meinung nicht entziehen und argumentierten, dass die Hexen ;ber ihre Beziehungen zum B;sen irgendwie auf das Wetter Einflu; nehmen k;nnten und daher verfolgt geh;rten.

Somit gingen die Verfolgungen und Verbrennungen in Europa in dem Ma;e, als die Kleine Eiszeit zuschlug mit tausenden weiterer Opfer weiter. Dabei f;llt auf, dass vor allem l;ndliche Bezirke und kleinere Territorialstaaten mit einer schwachen Justizverwaltung betroffen waren, aber auch Erzbist;mer wie K;ln, die ihre Justizverwaltung damals gegen entsprechende Zahlungen an lokale Adelige privatisiert hatten. Dagegen blieben gro;e St;dte wie Amsterdam, Hamburg, N;rnberg (wo ein Willi Pirkheimer, Albrecht D;rer und Hans Sachs den Hexenaberglauben l;cherlich machen konnten), Wien u.a. und straff gef;hrte Territorialstaaten, wie W;rttemberg, Bayern, Sachsen und ;sterreich u.a. von ungl;cklichen Einzelf;llen abgesehen von gr;;eren Verfolgungsorgien verschont.

Aufgrund des ;berw;ltigenden Materials l;sst sich nicht bestreiten, dass der Klimaeinbruch der sogenannten Kleinen Eiszeit in engster Verbindung mit dem Aufkommen und der Verbreitung der Hexenverfolgungen stand und - wenn man an moderne Zust;nde denkt - wohl noch steht. Aber auch ein anderer eher ermutigender Zusammenhang wird erkennbar. Die auffallenden Wetterereignisse mit den noch tiefergreifenden wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Menschen f;hrten auch zu einer systematischeren Wetterbeobachtung und schlie;lich zur Meteorologie. Ihre Ergebnisse schufen allm;hlich eine tragf;higere Grundlage zur Beurteilung der Klimaschwankungen und ihrer wirtschaftlichen Auswirkungen als es die damalige vorherrschende Wissenschaft, die Theologie, die sich mehr und mehr politischen Machthabern angedienert hatte, vermochte.

Dabei gab es aber auch damals noch mutige Theologen wie Ulrich Molitoris, die sich der geltenden Meinung, Hexen und ihr Treiben k;nne das Wetter beeinflussen, widersetzten. Es war ein Theologe Martin Plantsch aus T;bingen, der in seinem Opusculum de sagis maleficis die Wettervorg;nge von der D;monologie trennte und schlie;lich ist ein vergessener Leonhard Reynmann zu ehren, der in seinem ”Wetterb;chlein" (von warer erkantnus des Wetters, M;nchen 1510, Augsburg 1510, N;rnberg 1517) ausschlie;lich beobachtbare Ursachen f;r Unwetter, vor allem Hagel und Sturm anf;hrte. Allm;hlich ;ffneten sich auch Theologen, wie Diher 1652, Ganshom 1672, Stoelzin 1692 und andere diesen Erkenntnissen - bis, ja bis moderne Hochleistungscomputer und deren Programmierer und Modellierer im Zusammenspiel mit den Medien der D;monologie in neuem Gew;nde beim leichtgl;ubigen Publikum wieder T;r und Tor ;ffneten.
(Das Material zu diesem Artikel stammt im Wesentlichen aus Forschungsarbeiten Wolfgang Behringers).

 


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