Aus dem Bauch heraus
Dem Bauchgef;hl auf der Spur
Pietro Vernazza / 29.07.2025 Der Darm «erf;hlt» die Nahrung und sendet sofort Botenstoffe ans Gehirn. Beide Organe kommunizieren intensiv miteinander.
Red. – Dies ist ein Gastbeitrag von Professor Pietro Vernazza. Er war bis Sommer 2021 Chefarzt der Infektiologie/Spitalhygiene am Kantonsspital St. Gallen.
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Jeder kennt es: das ber;hmte Bauchgef;hl. Manche Entscheidungen trifft man einfach «aus dem Bauch heraus», ohne lange zu ;berlegen – und liegt damit erstaunlich oft richtig. Auch bei Bewerbungsgespr;chen in meiner Zeit als Klinikleiter war dieses Bauchgef;hl manchmal der entscheidende Impuls f;r eine gute Wahl.
Aber woher kommt dieses Gef;hl eigentlich? Und wie genau h;ngt unser Darm – das sprichw;rtliche Zentrum der Intuition – mit unserem Gehirn zusammen?
Eine aktuelle Studie aus Belgien, ver;ffentlicht in «Nature», bringt uns der Antwort ein St;ck n;her. Die Forschenden untersuchten bei M;usen, wie der Darm ;ber seine Schleimhaut mit dem Gehirn kommuniziert – und dabei ganz gezielt auf verschiedene N;hrstoffe reagiert.
Der Darm – Kontaktorgan zur Umwelt
Kaum ein anderes Organ steht so intensiv mit der Aussenwelt in Kontakt wie unser Darm: ;ber die Nahrung gelangen t;glich Tausende Molek;le auf seine Schleimh;ute. Die neue Studie fragt: Wie erkennt der Darm, was wir essen – und wie leitet er diese Information weiter?
Die Forschenden untersuchten St;cke des D;nndarms von M;usen unter dem Mikroskop und beobachteten, wie die Nervenzellen im Darm auf verschiedene N;hrstoffe reagierten. Dazu nutzten sie moderne Bildgebung, mit der sich kleinste Kalzium-Signale sichtbar machen lassen – ein bew;hrter Trick, um Nervenzellen beim «Feuern» zuzuschauen.
Getestet wurden zum Beispiel Zucker (Glukose), Aminos;uren (wie Phenylalanin) und kurzkettige Fetts;uren (wie Acetat). Interessanterweise reagierten die Nervenzellen nicht direkt auf die N;hrstoffe, sondern nur, wenn diese mit der obersten Schicht der Darmschleimhaut in Kontakt kamen. Gab man dieselben Stoffe direkt auf die Nervenzellen, blieb die Reaktion aus.
Serotonin als Botenstoff zwischen Darm und Nervensystem
Entscheidend war offenbar die erste Zellschicht: die Epithelzellen des Darms. Diese erkennen bestimmte N;hrstoffe mithilfe spezieller Transporter und Rezeptoren – und geben dann ein klares Signal weiter: Serotonin.
Serotonin ist ein vielseitiger Botenstoff. Viele kennen ihn als «Gl;ckshormon» im Gehirn, doch rund 90 Prozent unseres Serotonins werden im Darm gebildet. In dieser Studie zeigte sich: Sobald die Epithelzellen aktiviert wurden, sch;tteten sie Serotonin aus – und dieses aktivierte die Nervenzellen des Nervensystems im Verdauungstrakt, das sogenannte «Bauchgehirn».
Dieses System ist erstaunlich komplex. Es umfasst ;ber 100 Millionen Nervenzellen – mehr als das R;ckenmark – und ist eng mit dem Gehirn verbunden, vor allem ;ber den Vagusnerv, die wichtigste Informationsautobahn zwischen Bauch und Kopf.
Je nach Nahrungsbestandteil entstand ein anderes Aktivit;tsmuster im Netzwerk der Nervenzellen. Die Nahrung beeinflusste also nicht nur, ob ein Signal weitergeleitet wurde – sondern auch wie und wohin. Damit wurden unterschiedliche Reaktionen ausgel;st, sowohl im lokalen Darmbereich als auch potenziell im Gehirn.
Lokale Wirkung: Der Darm passt sich an
Ein besonders interessanter Punkt: Die Nervensignale hatten nicht nur Bedeutung f;r das Gehirn, sondern auch f;r die unmittelbare Steuerung des Darms selbst. Die Aktivierung bestimmter Nervenzellgruppen beeinflusste direkt die Bewegung der Darmmuskulatur – also die sogenannte Peristaltik.
Mit anderen Worten: Der Darm «f;hlt» die Nahrung und reagiert sofort. So kann er je nach Zusammensetzung der Nahrung mehr oder weniger aktiv arbeiten, Sekrete aussch;tten oder die Durchblutung anpassen – bevor ;berhaupt ein Signal das Gehirn erreicht.
Nat;rlich kann man nicht alle Erkenntnisse von M;usen auf den Menschen ;bertragen. Aber die grundlegenden biologischen Prinzipien, wie Zellen und Organe miteinander kommunizieren, sind bei S;ugetieren doch sehr gut vergleichbar.
Ein Netzwerk, das mehr kann als nur verdauen
Die Studie zeigt also eindr;cklich: Der M;usedarm erkennt gezielt, was die Tiere fressen, und schickt differenzierte Signale ans Gehirn. Je nach N;hrstoff reagieren unterschiedliche Nervenzelltypen – ein Hinweis darauf, dass der Darm eine Art sensorisches Feintuning betreibt.
Das Ganze ist bisher nur ein kleiner Ausschnitt eines viel komplexeren Systems. Aber es best;tigt, was andere Studien l;ngst andeuten:
Schon l;nger wissen wir, dass emotionale Zust;nde wie Angst oder Stress ;ber das enterische Nervensystem auch k;rperlich sp;rbar sind – etwa durch Bauchschmerzen oder Durchfall.
Auch in der Depressionsforschung spielt der Darm zunehmend eine Rolle: Ver;nderungen im Mikrobiom und der Serotoninproduktion k;nnten die Psyche beeinflussen.
Und sogar Entscheidungsverhalten wird in Experimenten ver;ndert, wenn der Vagusnerv gereizt wird – ein Hinweis auf direkte R;ckkopplungen zwischen Eingeweiden und Gedankenwelt.
Fazit: Der Bauch – mehr als nur Gef;hl
Vielleicht ist unser sprichw;rtliches «Bauchgef;hl» also gar kein irrationaler Impuls, sondern das Ergebnis eines komplexen biologischen Zusammenspiels zwischen Darm, Nerven und Gehirn. Wenn der Bauch «spricht», spricht oft auch das Gehirn – nur eben aus einer ganz anderen Richtung.
Die belgische Studie bringt uns diesem Verst;ndnis einen Schritt n;her. Und sie l;sst vermuten, dass Intuition manchmal tiefer sitzt, als wir denken.
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