Hitlers kleines Baertchen stammt aus Amerika


US-Kultur
Hitlers kleines B;rtchen stammt aus Amerika
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Von Hannes Stein
Freier Korrespondent
Ver;ffentlicht am 27.10.2007Lesedauer: 7 Minuten
Adolf Hitler Nazi-Vergleich Politiker Chavez Gysi

Machte den Zweifingerbart untragbar: Adolf Hitler
Quelle: dpa
Fluchen ist b;se und wird in US-Medien meist durch ein Piepen ersetzt. Doch es gibt noch gr;;ere Tabus: "Kann man heutzutage als Jude mit Hitlerb;rtchen herumlaufen?", fragte sich ein New Yorker Intellektueller und stellte sich einem Selbstversuch.

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Steven Pinker ist ein Psychologieprofessor in Harvard, ein Spezialist f;r Gehirnforschung und Meistersch;ler von Noam Chomsky, mit dem er die ;berzeugung teilt, dass die Sprache dem Menschen angeboren sei – Pinker redet von einem „Sprachinstinkt“ – und dass sie ihn vor den anderen Spezies dieses Planeten auszeichne. Jeder menschliche Dreij;hrige, so Pinker, sei ein solches Grammatikgenie, wie es auch ein ausgewachsener Schimpanse nie werden k;nne. Unterstellen wir f;r einen Moment, Pinker habe recht, dann bleibt immer noch die Fundamentalfrage: Wann fingen die Menschen an zu fluchen? Als sie begannen, an Gott zu glauben und Vertr;ge zu schlie;en.

Fluchen und Gottlosigkeit
Angenommen, jemand will sich Geld leihen. Er verspricht hoch und heilig, dass er es zur;ckzahlen werde, kann aber keine Sicherheiten bieten – dann sagt er: „Gott m;ge mich blind werden lassen, wenn ich meine Schulden nicht begleiche.“ So entstand der englische Ausdruck „Blimey“, dem man etwa in den Harry-Potter-Romanen auf Schritt und Tritt begegnet. „Blimey“ ist eine Zusammenziehung von „God blind me“, Gott m;ge mich blenden.

Im Zuge der S;kularisierung, erkl;rt Steven Pinker in „The New Republic“, sei Gott durch anst;;ige Vokabeln ersetzt worden. Aus „I don't give a damn“, das noch deutlich theologisch impr;gniert ist, wurde „I don't give a fuck“. Aus „Holy Mary“ wurde „Holy shit“. Der unfromme Wunsch „Damn you!“ verwandelte sich in das noch unfrommere „Fuck you!“. Die Rangordnung der anst;;igen Vokabeln, die h;ufig K;rperfl;ssigkeiten benennen, entspricht exakt der Reihenfolge, mit der man sich jener K;rperfl;ssigkeiten in der ;ffentlichkeit entledigen darf (Spucke geht gerade noch, Urin schon deutlich weniger; Exkremente sind ;berhaupt nicht erlaubt). Diese Abfolge wiederum entspricht der Gef;hrlichkeit der jeweiligen Substanz als Tr;ger von Bazillen.

Was aber ist mit dem guten alten Sex? Warum wird er wenigstens in den angels;chsischen L;ndern zu einer reich sprudelnden Quelle von Fluchw;rtern? Weil es sich um eine risikobehaftete T;tigkeit handelt: Sex kann zu allen m;glichen ungewollten Folgen f;hren (Kindern, Partnerschaften, Ansteckungen). Im amerikanischen Fernsehen werden schmutzige W;rter durch lautes Piepen ;bert;nt; in den Zeitungen schreibt man sie nicht aus. Steven Pinker verteidigt diese Praxis, obwohl er kein Konservativer ist. Zwar k;nne das Fluchen, siehe Shakespeare, zu literarischen Meisterleistungen f;hren. Das menschliche Hirn sei aber so verdrahtet, dass man die Bilder und Ger;che, die Fl;che in unserem Inneren hervorrufen, nicht ausschalten kann – und es sei fraglich, ob man seine Mitmenschen dazu zwingen sollte, an Urin, Exkremente oder Vergewaltigungen zu denken.

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Deutsche Frauen gegen den Schrumpfbart
Wahrscheinlich gibt es nur eines, was noch schlimmer ist, als in der ;ffentlichkeit zu fluchen: Man l;sst sich ein Hitlerb;rtchen wachsen. Just das hat Rich Cohen getan (in Deutschland w;rde ihm das wohl einen Konflikt mit dem Gesetz einbringen, in Amerika kann ihm das keiner verwehren). Als ordentlicher Rechercheur, der Cohen ist, hat er f;r „Vanity Fair“ die Geschichte des Zweifinger-Bartes ausgegraben. Offenbar handelte es sich urspr;nglich um eine amerikanische Erfindung. Jene paar Haare, die man sich unter der Nase stehen lie;, waren die Erwiderung der USA auf die gewaltig ausgreifenden, die gewachsten Kaiser-Wilhelm-B;rte. Aus Amerika schwappte die Mode dann nach Europa hin;ber. 1907 meldete die „New York Times“, deutsche Frauen seien zutiefst dagegen, dass jener Schrumpfbart den Platz des imposanten „Kaiserbartes“ usurpiere. Nichts Urdeutsches also! Man kann es auch anders ausdr;cken: Das Zweifingerb;rtchen geh;rte Chaplin, bevor es Hitlers Eigentum wurde.

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Rich Cohens Entschluss, sich unter der Nase nicht mehr zu rasieren, war nicht ausschlie;lich von schlechtem Geschmack diktiert. Er wollte ausprobieren, ob dieses Symbol wieder in den Zustand der historischen Unschuld zur;ckversetzt werden kann. Ist es m;glich, als amerikanischer Jude mit einem Hitlerb;rtchen sorglos durch New York spazieren zu gehen? Die Antwort lautet: Nein. Es ist wie bei den Assoziationen, die schmutzige W;rter im Gehirn dessen, der sie h;rt, unwillk;rlich hervorrufen: Das Hitlerb;rtchen hat zu viel Geschichte in sich aufgesogen. Es verh;lt sich wie mit dem Vornamen Adolf. Er ist kontaminiert, nicht mehr verwendbar. Immerhin hat Rich Cohen seinem fehlgeschlagenen Experiment aber eine einleuchtende geschichtliche Daumenregel abgewonnen: Wenn von zwei Staatsm;nnern einer einen Schn;uzer tr;gt, so postuliert er, dann wird wahrscheinlich der B;rtige einen Krieg anfangen – und diesen dann aus lauter Machismo verlieren.


Neue Ausreden der Neocons
Das Stichwort „Krieg“ f;hrt uns pfeilgerade zu den „Neocons“. Jenes K;rzel f;r „neoconservatives“ ist ganz bestimmt eine Schm;hung – aber wie es in der Geschichte der Politik so h;ufig geschieht, haben die Geschm;hten sich das auf sie gem;nzte Schimpfwort entwendet und mit Stolz wie eine Medaille ans Revers geheftet. So hielten es schon die „Sansculotten“ (die „Ohnehosen“), so hielten es bekanntlich die „Tories“ (Banditen) und die „Whigs“ (Pferdediebe). Als „Neocons“ wurden amerikanische Linksliberale beschimpft, die ungef;hr seit der Pr;sidentschaft von Jimmy Carter mit ihren ehemaligen politischen Weggef;hrten brachen.

Die gro;e Zeit der „Neocons“ war die Zeit Ronald Reagans. Anders als die gew;hnlichen Konservativen, die in der Sowjetunion nur ein weiteres m;chtiges Land sahen, mit dem man ein Kr;ftegleichgewicht anstreben m;sse, erblickten die „Neocons“ in der Sowjetunion einen totalit;ren Feind, den es zu besiegen galt – so wie einst Nazideutschland. ;brigens sind die „Neocons“ schon einmal f;r tot erkl;rt worden, wie Joshua Muravchik in „Commentary“ festh;lt, und zwar 1990. Kein Geringerer als Norman Podhoretz – der sozusagen der Inbegriff eines „Neocon“ ist – meinte damals allen Ernstes: Mission erf;llt, Kommunismus erledigt, abtreten. Aber dann kam der 11.September 2001, der weltweite Aufschwung islamischer Fanatiker, kurz und missverst;ndlich gesagt: der n;chste Totalitarismus.

Heute sind die „Neocons“ in Amerika nicht sehr beliebt, des blutigen Schlamassels im Irak wegen, f;r das man ihnen die Verantwortung zuschiebt. Zu Unrecht, findet Joshua Muravchik. Es gibt nur ein Argument gegen den Irakkrieg von 2003, das er gelten l;sst: Man h;tte sich statt um Saddams marodes Regime fr;her um den Iran k;mmern m;ssen. (Dieses Argument stammt von Michael Leeden, der selbst ein „Neocon“ ist.) Muravchik erinnert aber daran, wie 2003 die Welt aussah: Es gab damals Grund zu der Hoffnung, dass sich im Iran die demokratische Opposition gegen die Mullahs durchsetzt – durch einen Milit;rschlag h;tte man die Opposition wohl eher geschw;cht. Und das irakische Regime hatte seit 1991 so gut wie alle Bedingungen des Waffenstillstandes verletzt, die ihm von den UN auferlegt worden waren. Mag sein, dass der Irakkrieg sich im Nachhinein als Fehler erweist, schreibt Muravchik, aber er war gewiss nicht schlimmer als die strategischen Fehler, die im Zweiten Weltkrieg gemacht wurden. Auf das Gro;e und Ganze kommt es an.


Besuch bei einem Versehrten
Nicht um das Gro;e und Ganze, sondern um das Kleine und Gebrochene k;mmert sich Christopher Hitchens: Er besuchte die Familie eines jungen Mannes, der sich als Freiwilliger f;r den Irak gemeldet hatte, nachdem er Kolumnen von Hitchens gelesen hatte. Mark Daily hie; er, und er starb im Januar, als eine Bombe seinen Jeep erwischte. Er war eher ein Linker (und Gr;ner) als ein Rechter, ein nachdenklicher Typ, der George Orwell las. Seine Familie trug Hitchens nicht nur nichts nach – sie lud ihn freundschaftlich zum Begr;bnis ein. Hitchens dachte, als Mark Dailys Asche ins Meer gestreut wurde, an den Spanischen B;rgerkrieg – noch so ein gerechter Kampf, der gr;ndlich danebenging. George Orwell hat dar;ber in „Mein Katalonien“ geschrieben. Und so dachte Hitchens an „die armseligen Politiker in Washington und Bagdad, die sich um den Vortritt zanken, w;hrend junge Menschen ihr Lebensblut vergie;en, deren Stiefel zu putzen sie nicht wert sind“.

The New Republic, 8. Oktober
Vanity Fair, November 2007
Commentary, Oktober 2007


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