Beginn des deutschen Rechtsterrorismus?
In den 1960er Jahren unterst;tzten deutsche Rechtsextreme Abspaltungsbewegungen in S;dtirol – auch mit terroristischen Mitteln und protegiert von BRD-Politikern. Der Historiker Darius Muschiol ;ber die Bedeutung des „S;dtirol-Terrorismus“
18.3.2025
Norbert Burger (vorne rechts) stand 1968 vor Gericht, weil er Terrorismus in S;dtirol guthie; und zur Fortsetzung aufrief
Foto: Foto: Brandstaetter Images/akg-images
Von Marietta Meier
taz: Mitte Februar wurde gemeldet, dass rechtsextreme Straftaten im Jahr 2024 ein neues Rekordhoch von 41.406 Delikten erreicht haben. Darunter sind 1.443 Gewalttaten, ebenfalls ein neuer H;chststand. Bereits 2023 waren die Zahlen h;her als in den Vorjahren. Haben wir aus der Vergangenheit nichts gelernt?
Darius Muschiol: Ich w;rde sagen, dass wir in Bezug auf Rechtsterrorismus, rechte Gewalt und die staatlichen Reaktionen darauf nur sehr langsam gelernt haben. Es gab durchaus Lernprozesse, insbesondere nach der Selbstenttarnung des NSU. Da hat sich in der ;ffentlichen Wahrnehmung und im staatlichen Umgang etwas ver;ndert. Ein Blick auf meine Forschungsergebnisse zeigt aber, wie gro; das schiere Ausma; des Rechtsterrorismus in der Vergangenheit war und wie wenig Wissen gleichzeitig dar;ber pr;sent ist. Daher w;rde ich sagen, dass wir in Deutschland leider immer noch eine sehr gro;e Blindstelle haben.
taz: In Ihrer Studie untersuchen Sie rechten Terror in der BRD zwischen 1949 und 1990 und legen damit die erste umfangreiche geschichtswissenschaftliche Untersuchung zu diesem Thema vor. Warum gab es bislang dazu keine Forschung?
Muschiol: Wie in der gesamten Gesellschaft stand auch in der Zeitgeschichtsforschung ganz ;berwiegend nur die Auseinandersetzung mit dem Linksterrorismus im Vordergrund. Erst in den letzten Jahren fand auch hier ein Umdenken statt und die Untersuchung des Rechtsterrorismus, ja ganz allgemein des Rechtsextremismus, r;ckte in den Fokus.
taz: Sie haben jahrelang in Archiven und historischen Quellen gegraben. Gab es ;berraschungen?
Muschiol: Die gr;;te ;berraschung war f;r mich das Ausma; der Involvierung rechtsextremer Protagonisten in den S;dtirol-Terrorismus und die diesbez;gliche Verstrickung bundesdeutscher Politiker. Den sehe ich als Beginn des bundesdeutschen Rechtsterrorismus an. Er fand zwar nicht in der Bundesrepublik statt, wurde aber von Deutschen, zumeist gemeinsam mit ;sterreichern, geplant und ausgef;hrt.
taz: Was genau war der S;dtirol-Terrorismus, und was hatte die BRD damit zu tun?
Muschiol: In den 1960er Jahren gab es in S;dtirol, das seit dem Ersten Weltkrieg zu Italien geh;rte, Autonomiebestrebungen der deutschsprachigen Bev;lkerung. Im Kontext dieses Konfliktes gab es auch Bundesdeutsche mit rechtsextremem, mitunter neonazistischem Hintergrund, die in Italien Anschl;ge mit pangermanistischer Zielstellung ver;bt haben. Zum Teil waren die Anschl;ge auch t;dlich. Hier kann anhand von Archivakten nachgewiesen werden, dass rechtsextreme Akteure damals von mehreren Bundespolitikern gesch;tzt wurden. So haben der damalige Bundesjustizminister Ewald Bucher und zumindest indirekt der Minister f;r besondere Aufgaben, Heinrich Krone von der CDU, sogar in den Prozess der Strafverfolgung eingegriffen.
taz: Welche T;ter waren das und warum wurden diese nicht verurteilt?
Muschiol: Norbert Burger etwa war ein in Deutschland lebender ;sterreichischer Rechtsextremist, der deutsche Rechtsextreme angeworben hat, in S;dtirol Anschl;ge zu begehen. Von M;nchen aus hat er eine Art „Terrorzentrale“ koordiniert. Die Ermittlungen wurden aber nicht, wie es in Terrorismusf;llen eigentlich zu erwarten gewesen w;re, von der Generalbundesanwaltschaft, sondern von regionalen Staatsanwaltschaften ;bernommen und verliefen danach h;ufig im Sande. So findet sich etwa in den Ermittlungsunterlagen ein Schreiben, in dem der M;nchner Staatsanwalt, der gegen Burger ermittelte, versuchte, seinen Fall loszuwerden. Er schreibt, dass in Bayern kein gro;es Interesse an einer Strafverfolgung Burgers bestehe, und erw;hnte dabei den Umstand, dass Burger mit Bundesminister Krone sehr gut bekannt, sogar befreundet sei.
taz: Wie l;sst sich der Rechtsterrorismus in der alten Bundesrepublik gliedern?
Muschiol: Es gibt ein paar klassische Wegmarken, die in der breiteren ;ffentlichkeit bekannt sind, wie das Oktoberfest-Attentat 1980. Aber es gab daneben viele Gruppierungen und unz;hlige Anschl;ge und Anschlagspl;ne. Ich spreche in meiner Forschung von drei Phasen des Rechtsterrorismus zwischen 1949 und 1990, die alle einen unterschiedlichen Hintergrund mit anderen politischen Situationen, Anschlagszielen und Feindbildern hatten. Am st;rksten ist der Terrorismus in der Phase von etwa 1977 bis 1982, wo es eine massive H;ufung von Anschl;gen gibt. In dieser dritten Phase richtet sich der Terrorismus erstmals gegen die liberale Demokratie.
Darius Muschiol
Jahrgang 1992, studierte Geschichtswissenschaften und Zeitgeschichte in Freiburg und Potsdam. Seine Dissertation „Einzelt;ter? Rechtsterroristische Akteure in der alten Bundesrepublik“ entstand am Leibniz-Zentrum f;r Zeithistorische Forschung Potsdam.
taz: Sie nennen Ihre Studie „Einzelt;ter?“ und werfen die heute noch rege diskutierte Frage auf, ob es Netzwerke um rechtsterroristische T;ter gibt. Waren es Einzelt;ter?
Muschiol: Nein, eindeutig nicht. Diese Zuschreibung hat leider die staatliche Sicht auf Rechtsterrorismus jahrelang gepr;gt. Ich nenne das die Vereinzelungsthese, weil man immer wieder von Einzelt;tern, vereinzelten Personen oder kleinen Gruppen gesprochen hat. Das l;sst sich aber schon deswegen widerlegen, weil es eine starke nationale und internationale Vernetzung der Szene gab. Die Protagonisten haben ihre Ideologie, ihre Professionalit;t oder ihre Aus;bung der Gewalt in anderen rechtsextremen Gruppen gelernt, wo sie oft jahrelang aktiv waren. Zudem gab es internationale Verbindungen in die USA, nach Frankreich, in den Libanon oder nach Belgien. Au;erdem haben sich die Rechtsterroristen Feindbilder gesucht, die nicht nur sie, sondern auch das rechtsextreme Milieu und teils weite Teile der deutschen Bev;lkerung geteilt haben.
taz: Die Rechtsterroristen wollten sozusagen den Willen der Bev;lkerung ausdr;cken?
Muschiol: Richtig, man k;nnte sagen, dass sich Rechtsterroristen oftmals als Vollstrecker eines „allgemeinen Volkswillens“ positioniert haben. Als der RAF-Terror begann und es eine Stimmung gegen Linksextremismus in der Bev;lkerung gab, entstanden Gruppen, die behaupteten, den Staat gegen alles, was man f;r eine „linke Gefahr“ hielt, sch;tzen zu m;ssen. Im ;bergang zu den 1980er Jahren richtete sich die Gewalt dann zunehmend gegen Migranten. Damals tauchten in rechtsextremen Publikationen Begriffe wie „Ausl;nderschwemme“ und „Ausl;nderflut“ auf, die auch auf die damalige gesamtgesellschaftliche Debatte einwirkten. Vor diesem Hintergrund ver;bten die Rechtsterroristen ihre Anschl;ge auf Migranten. Rechtsterroristen schlugen nie in einem luftleeren Raum zu.
;
Rechtsterroristen positionierten sich als Vollstrecker eines „allgemeinen Volkswillens“
taz: Haben Rechtsterroristen denn ihre Ziele erreicht?
Muschiol: Es gab Teilerfolge. Anfang der 1980er Jahre etwa gab es die ausl;nderfeindlichen Anschl;ge der „Deutschen Aktionsgruppen“ um Manfred Roeder, die zwei Menschen das Leben kosteten. Roeder hatte damals das Ziel verfolgt, „Druck“ auf die Bundesregierung auszu;ben. Kurz darauf erkl;rte Helmut Kohl in seiner ersten Regierungserkl;rung sofort die „Ausl;nderpolitik“ zu einem seiner wichtigsten Themen.
taz: F;r den Zeitraum rechter Gewalt in der Zeit nach der Wiedervereinigung wird auch das Attribut „Baseballschl;gerjahre“ vergeben. Konnten die Neonazis in den 1990ern auf bestehende Netzwerke und Strukturen von der Zeit davor zur;ckgreifen?
Muschiol: Auf jeden Fall konnten sie von der Fehlwahrnehmung bzw. Bagatellisierung rechter Gewalt durch Staat, Gesellschaft und Politik profitieren. Das Unwissen, Wegschauen, Negieren und Kleinreden waren Kontinuit;ten, die den Umgang mit rechtsextremer Gewalt ;ber Jahrzehnte pr;gten.
Свидетельство о публикации №125031806277