Liliputins in German -4199

Zuerst sprengen wir Philosophen das Bewusstsein der jungen Generation und erst dann legt sie ihre Bomben ... "
Herbert Marcuse

Liliputins. What, the heck, is this ?
http://stihi.ru/2021/11/24/7101

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Adorno war ein gesch;tzter Hochschullehrer. Seit dem Ende der 1950er Jahre str;mten Studenten aller Fachrichtungen in seine Vorlesungen, welche im gr;;ten H;rsaal der Universit;t stattfanden. Sein sich auf wenige Notizen st;tzender, in nuancierter Diktion frei formulierter Vortrag schlug viele in seinen Bann.

Die letzten Jahre Adornos standen ganz im Zeichen von Konflikten mit seinen Studenten. Als sich aus der au;erparlamentarischen Opposition (APO) gegen die von der Gro;en Koalition aus CDU/CSU und SPD gebildete Regierung und deren geplante Notstandsgesetze wie auch gegen den Vietnamkrieg eine neuartige Studentenbewegung mit dem SDS an der Spitze bildete, versch;rften sich die Spannungen.[108] W;hrend Adorno sich den entschiedenen Kritikern dieser Gesetze anschloss und mit ihnen ;ffentlich auf einer Veranstaltung des Aktionskomitees Demokratie im Notstand am 28. Mai 1968 Stellung bezog, hielt er Distanz zum studentischen Aktionismus.

Es waren Sch;ler Adornos, die den Geist der Revolte repr;sentierten und „praktische Konsequenzen“ aus der Kritischen Theorie zu ziehen versuchten. Als der Polizist Karl-Heinz Kurras bei der Demonstration am 2. Juni 1967 in West-Berlin gegen den Schah den Studenten Benno Ohnesorg erschoss, begann sich die APO zu radikalisieren. Unmittelbar nach dem Tod Ohnesorgs hatte Adorno vor Beginn seiner ;sthetik-Vorlesung seine „Sympathie f;r den Studenten“ ausgesprochen, „dessen Schicksal […] in gar keinem Verh;ltnis zu seiner Teilnahme an einer politischen Demonstration steht“.[109] Die K;pfe der Frankfurter Schule hatten zwar Sympathie mit den studentischen Kritikern und deren Protesten gegen restaurative Tendenzen und „technokratische Hochschulreform“,[110] waren aber nicht bereit, deren aktionistisches Vorgehen zu unterst;tzen; als „Pseudo-Aktivit;t“ und „Ungeduld gegen;ber der Theorie“ bezeichnete Adorno es 1969 in seinem Rundfunkvortrag Resignation (GS 10/2 756 f.).

Zum Verh;ltnis von Theorie und Praxis ;u;erte sich Adorno in einem l;ngeren Spiegel-Interview im Mai 1969: „Ich habe neulich in einem Fernsehinterview gesagt, ich h;tte zwar ein theoretisches Modell aufgestellt, h;tte aber nicht ahnen k;nnen, dass Leute es mit Molotow-Cocktails verwirklichen wollen. […] Seitdem es in Berlin 1967 zum erstenmal zu einem Zirkus gegen mich gekommen ist, haben bestimmte Gruppen von Studenten immer wieder versucht, mich zur Solidarit;t zu zwingen, und praktische Aktionen von mir verlangt. Das habe ich verweigert.“

Die Studenten agierten zunehmend gegen ihre einstigen Vorbilder, beschimpften sie in einem Flugblatt gar als „B;ttel des autorit;ren Staates“.[112] Adornos Vorlesungen wurden wiederholt von studentischen Aktivisten gesprengt, besonders spektakul;r war eine Aktion (in den Medien zum sogenannten Busenattentat stilisiert) im April 1969, als Hannah Weitemeier und zwei andere Studentinnen Adorno mit entbl;;ten Br;sten auf dem Podium bedr;ngten und ihn mit Rosen- und Tulpenbl;ten bestreuten.[113] „Das Gef;hl, mit einem Mal als Reaktion;r angegriffen zu werden, hat immerhin etwas ;berraschendes“, schrieb Adorno an Samuel Beckett.[114] Andererseits wurden Adorno und Horkheimer von der politischen Rechten vorgeworfen, sie seien die geistigen Urheber der studentischen Gewalt.

1969 sah Adorno sich gezwungen, seine Vorlesungen einzustellen. Als am 31. Januar 1969 Studenten in das Institut f;r Sozialforschung eingedrungen waren, um kategorisch eine sofortige Diskussion ;ber die politische Situation durchzusetzen, riefen die Institutsdirektoren – Adorno und Ludwig von Friedeburg – die Polizei und zeigten die Besetzer an. Adorno, der immer ein Gegner des Polizei- und ;berwachungsstaats gewesen war, litt unter diesem Bruch seines Selbstverst;ndnisses. Er musste als Zeuge vor dem Frankfurter Landgericht gegen Hans-J;rgen Krahl, einen seiner begabtesten Sch;ler, aussagen. Adorno ;u;erte sich dazu in einem Brief an Alexander Kluge: „Ich sehe nicht ein, warum ich mich zum M;rtyrer des Herrn Krahl machen soll, von dem ich mir doch ausdachte, da; er mir ein Messer an die Kehle setzt, um mir diese durchzuschneiden, und auf meinen gelinden Protest erwidert: Aber Herr Professor, das d;rfen Sie doch nicht personalisieren“.

Ab Februar 1969 bis zu Adornos Tod trugen Adorno und Herbert Marcuse in einem intensiven Briefwechsel einen Dissens aus, von dem Adorno in einem Brief an Horkheimer bereits bef;rchtete, er k;nnte einen „Bruch zwischen ihm und uns“ herbeif;hren.[116] Marcuse kritisierte Adornos Praxis-Abstinenz ebenso wie Habermas’ Vorwurf des „linken Faschismus“ gegen;ber den rebellierenden Studenten sowie die polizeiliche R;umung des besetzten Instituts.[117] Adorno verteidigte Habermas’ Vorwurf. Auch er sah jetzt Tendenzen, die „mit dem Faschismus unmittelbar konvergieren“, und nahm, wie er Marcuse schrieb, „die Gefahr des Umschlags der Studentenbewegung in Faschismus viel schwerer als Du“.

Am Tag nach der Gerichtsverhandlung gegen Krahl fuhr er mit seiner Frau in den ;blichen Sommerurlaub in die Schweizer Berge. Statt des gewohnten Urlaubs in Sils Maria fuhren sie erstmals nach Zermatt (1600 m. ;. M.). Ungen;gend akklimatisiert, fuhr er mit einer Seilbahn auf fast 3000 m. ;. M. und wanderte dann zur Gandeggh;tte (3030 m.;.M.). Weil er Probleme mit seinem Bergschuh hatte, lie; er sich anschlie;end nach Visp (660 M. ;. M.) zu einem Schuhmacher fahren. Als er Herzbeschwerden bekam, wurde er ins Visper Krankenhaus St. Maria gebracht. Dort erlag er am Morgen des 6. Augusts 1969 einem Herzinfarkt.


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