Die verspaetete Nation

Die verspaetete Nation

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Die verspaeete Nation. ueber die politische Verfuehrbarkeit buergerlichen Geistes ist der Titel eines der zentralen Werke des deutschen Soziologen Helmuth Plessner. Ausgehend von einer religions-, kultur- und politikgeschichtlichen Philosophie der offenen Moderne beschreibt Plessner darin das ambivalente und damit gefaehrliche Potential der deutschen Mentalitaet in ihrer historisch verwurzelten Ablehnung der westlichen Aufklaerung. Das Manuskript entstand in Plessners niederlaendischem Exil, erschien 1935 unter anderem Titel in der Schweiz und wurde erst 1959 in der Bundesrepublik veroeffentlicht.


Das Buch ging aus einer Reihe von „Vortraegen zur Einfuehrung in die gegenwaertigen geistigen Kaempfe Deutschlands und seiner Philosophie“ hervor, die Plessner im Winter 1934/35 in seinem niederlaendischen Exil vor Studenten aller Fakultaeten der Reichsuniversitaet Groningen gehalten hatte. Daraus entstand die Schrift Das Schicksal des deutschen Geistes im Ausgang seiner buergerlichen Epoche, die 1935 von einem Schweizer Verlag publiziert wurde. Zunaechst konnte das Buch sogar noch in Deutschland verkauft werden. Doch nach einer Kritik in der national-konservativen Zeitung Germania – Zeitung fuer das Deutsche Volk beorderte der Verlag die noch in Deutschland vorraetigen Exemplare in die Schweiz zuruek. Erst 1959 erschien es dann unveraendert unter dem Titel Die verspaetete Nation. ueber die politische Verfuehrbarkeit buergerlichen Geistes (1959) beim Kohlhammer Verlag. Plessner verzichtete auf den urspraenglichen Titel, weil der ihm „schwerfaellig“ erschien und die Verwendung des Wortes „Schicksal“ die Vorstellung erweckt haette, die deutsche Katastrophe sei unausweichlich gewesen.

Inhalt
Ausgehend von einer anthropologischen Herangehensweise zeichnet Plessner die Entwicklung des deutschen Geistes seit dem 16. Jahrhundert nach. Er geht der Frage nach, warum vor allem das B;rgertum bereit war, einen Herrscher wie Hitler zu unterst;tzen. Plessner zeichnet hierbei das eigent;mliche, ambivalente, gef;hrliche Potential der deutschen Mentalit;t (Joachim Fischer) nach.[4] Das westliche Europa durchlief seit dem 17. und 18. Jahrhundert eine Demokratisierung, w;hrend f;r Deutschland in diesen Zeitraum der Untergang des Heiligen R;mischen Reiches deutscher Nation fiel. Dieser Traditionsbruch wirkt bis ins 20. Jahrhundert hinein und belastet die geistesgeschichtliche Entwicklung Deutschlands. Die Reichsgr;ndung fiel in eine politisch-mentalit;tsm;;ige Phase, in der die Aufkl;rung in den Hintergrund trat und Deutschland nur auf vor-demokratische Strukturen blicken konnte.

Deshalb konnte sich der deutsche Nationalstaat nicht auf die Ideen der b;rgerlichen Aufkl;rung (wie etwa naheliegend Freiheit, Gleichheit, Br;derlichkeit) berufen, sondern auf ein voraufkl;rerisches Volkstum als gemeinsame Basis. Plessner weist darauf hin, dass jeder Mensch zwar Franzose oder Engl;nder werden k;nne, indem er die Werte der modernen Gesellschaft akzeptiere. Hingegen k;nne jedoch niemand Kraft des Entschlusses "Volksdeutscher" werden, wenn er es nicht schon von Geburt an war.

Einen bis dahin in seiner politischen Dimension noch nicht behandelten Problemstrang macht Plessner in der spezifischen Entwicklung des Luthertums in Deutschland aus. Durch zwangsstaatliche Organisation in einer evangelischen Landeskirche wird verhindert, dass der Einzelne sein religi;ses Interesse sch;pferisch in die Gemeinde einbringt. Diese Verschr;nkung von staatlicher und kirchlicher Macht f;hre zu einer st;rkeren Verweltlichung religi;ser Impulse. F;r das Individuum f;hre dies zu einem Bruch zwischen Innerlichkeit ((religi;ser) Verwirklichung als Person) und der ;ffentlichkeit bzw. Politik. Darauf erwachse letztlich eine unpolitische Haltung, die gleichg;ltig oder opportunistisch ihrer Obrigkeit gegen;berstehe.

Die st;rker als in anderen europ;ischen Staaten ausgepr;gte Spaltung der Kirchen, einhergehend mit einer schwachen Aufkl;rung f;hren zur inneren Spaltung und damit gro;en Unsicherheit der Deutschen.

Wirkung
In zeitgen;ssischen Besprechungen des Buches nach seinem Ersterscheinen 1935 bezweifelten Max Horkheimer und Herbert Marcuse, dass der geistesgeschichtliche Fokus des Buches auf die deutsche Vorgeschichte des Nationalsozialismus etwas zu dessen Verst;ndnis beitragen k;nne. Sie warfen Plessner vor, mit seiner Schrift zur Verharmlosung und kulturellen Normalisierung des Nationalsozialismus beizutragen.[5] Zur Neuauflage von 1959 dagegen schrieb J;rgen Habermas: Plessner habe einmal die Soziologie als institutionalisierte Dauerkontrolle einer gef;hrdeten Gesellschaft bezeichnet. Mit seinem ingeni;sen Beitrag zur Herkunft des Faschismus ;be er als Soziologe, Historiker und Philosoph zugleich eine Kontrolle dieser Art am Gefahrenherd selber.[6]

Heinrich August Winkler nannte den Text einen Meilenstein auf „Deutschlands langem Weg nach Westen“.[4] F;r Hermann L;bbe ist es ein aufschlussreiches Buch, „sowohl ;ber Deutschland wie f;r Plessner selbst, den das eigene Land in der nationalsozialistischen «Erhebung» der Nation von dieser ausschloss“.[7]


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