Was ist heute eigentlich links?

Kathrina Edinger
BILDER/GESCHICHTE/N


Was ist heute eigentlich links?
VER;FFENTLICHT MAI 31, 2018
Dieser Text wurde auf jetzt.de ver;ffentlicht und ist Teil einer Kooperation mit der WDR Doku-Reihe „Was geht mich das an?“, f;r die ich die beiden Filme „Was geht mich die NS-Zeit an?“ und „Was geht mich die RAF an?“ realisierte.

Langsam und mit bitteren Gesichtern schreiten die Trauerg;ste den Friedhofspfad entlang. Im Strom von ;berwiegend jungen Gesichtern, die ihrem gerade mal 33-j;hrigen Freund, Ex-Kommilitonen und Wegbegleiter die letzte Ehre erweisen wollen, entdecke ich Otto (Schily) und Rudi (Dutschke). Schnitt. Ich sehe Rudi am Grab stehen. Er bleibt nicht lange. Die Kameras der Reporter l;sen schon klickend aus. Er hebt nur kurz die Hand, macht eine Faust: „Holger, der Kampf geht weiter“.  Schnitt. Ich sehe die gro;e Menschenmenge am Rand des offenen Grabes. Erst verzagt, dann st;rker, getragen von hunderten Stimmen, kann ich die „Internationale“ ausmachen – das sozialistische Kampflied.

„V;lker, h;rt die Signale! Auf zum letzten Gefecht! Die Internationale erk;mpft das Menschenrecht.“

Ich dr;cke Stopp. Das Video zeigt den 18. November 1974. Die Beerdigung des Rote-Armee-Fraktion-Terroristen Holger Meins, der nach 58 Tagen Hungerstreik, abgemagert auf 39 Kilo, starb. Das Portr;t der Leiche ist auf meinem Desktop gespeichert und hat sich auch in meinem Ged;chtnis ziemlich eingebrannt. Wer es kennt, wei; warum. Ich will „selber schuld!“ sagen. Immerhin hat Holger Meins sich im terroristischen Kampf selbst instrumentalisiert. Er tat, was die RAF verlangte. Aber so einfach ist es eben auch wieder nicht.

 „Wir brauchen eine Leiche, einer ist zu wenig, da wei; man nicht, ob er auch tats;chlich verreckt, zu unsicher… also f;nf Freiwillige vor, die’s bis zum Verrecken machen, bei einem wird es bestimmt klappen… eine Leiche und wir haben was in der Hand.“ (Zellenzirkular der RAF, 1973)

Wir m;ssen davon ausgehen, dass die Menschen, die damals im November am Grab standen, Holger Meins nicht als einen unerbittlichen Terroristen wahrgenommen hatten. F;r sie war er ein Genosse, ein Gleichgesinnter, ein Revolution;r. Sein Tod war f;r sie der Triumph eines politischen Systems, das sie bek;mpfen wollten. Und es ist auch nicht der vermeintliche M;rtyrer-Tod des Terroristen, der mich nicht losl;sst. Es ist die deutliche Solidarit;t seiner Gef;hrten:

5000 Leute sollen damals auf der Beerdigung gewesen sein. In den folgenden Wochen gab es zahlreiche Solidarit;tsbekundungen in ganz Deutschland mit tausenden von Demonstranten. Was war anders damals? Warum habe ich das Gef;hl, dass es das heute nicht mehr g;be?

Diese Menschen waren Teil der sogenannten 68er-Generation. Sie geh;rten mehrheitlich zur „Neuen Linken“, die vor allem unter jungen Leuten ihren Zuspruch fand. Eine politische Bewegung, die f;r die Demokratisierung der Gesellschaft, f;r globale Gleichheit aller Menschen, f;r eine Befreiung von den angestaubten Traditionen und Geschlechterrollen und f;r die Bewusstmachung der ungerechten Verh;ltnisse einstand. Damit kann ich mich doch identifizieren. Viele k;nnen das wohl. Aber f;r eine Bewegung wie damals scheint mir das heute nicht mehr zu reichen. Weil sich die Ziele nicht mehr so eindeutig wie fr;her einer bestimmten politischen Ausrichtung zuordnen lassen?

Bin ich links? Und was bedeutet das eigentlich noch?
Ich habe den Eindruck, ;hnliche Wunschvorstellungen zu haben wie die jungen Leute in den 70ern: Ich will in einer solidarischen Gesellschaft leben, m;chte f;r die Armen und Schwachen in unserer Gesellschaft einstehen, finde den Turbo-Kapitalismus bisweilen zum Kotzen und hoffe f;r mich selbst und andere auf sozial gerechte Arbeits- und Lebensverh;ltnisse. Aber wo stehe ich denn damit mit meiner Meinung heute? Bin ich deswegen links? Und was bedeutet das eigentlich noch?

„Links sein,“ erkl;rt mir der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke, „beinhaltet immer eine politische ;berzeugung, n;mlich einen universalistischen Anspruch – ganz im Sinne der franz;sischen Revolution – nach Freiheit, Gleichheit und Br;derlichkeit. Wobei vor allem die Gleichheit aller Menschen als zentraler Grundsatz verstanden werden kann.“ W;hrend die Rechte von der Ungleichheit der Menschen ausgehe, sei ein linkes Leitprinzip demnach, die Gleichheit der menschlichen W;rde global zu denken.

Das linke Spektrum bleibt dabei aber unscharf. Es erstreckt sich vom demokratischen Sozialismus ;ber den Linkssozialismus bis zum Kommunismus, wobei sich die SPD und Die Linke programmatisch dem demokratischen Sozialismus verpflichtet haben. Das hei;t: Die sozialistischen Grundwerte (Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarit;t) sollen auf freiheitlich demokratischem Wege durch Reform und Demokratisierung verwirklicht werden. Von der Revolution tr;umt heute offiziell keiner mehr. Ist „links“ damit auch als politischer Kampfbegriff ;berkommen?

Fragt man etwa den ehemaligen Bundesarbeitsminister Norbert Bl;m (von manchen seiner CDU-Kollegen damals als zu „links“ kritisiert), was er von der Einteilung in rechts und links halte, schreibt er zur;ck, dass weiterhin gestritten werden m;sse, „;ber elementare Fragen der Zeit. In der Nachkriegszeit beispielsweise ;ber ‚Planwirtschaft oder Soziale Marktwirtschaft‘. Heute ;ber ‚zur;ck‘ in den alten Nationalismus oder ‚vorw;rts‘ in ein vereintes Europa.“ Daf;r brauche es aber Parteien und keine Einteilung in links und rechts. Das seien n;mlich „Etiketten aus dem 19. Jahrhundert“, die schon in den 70ern nicht funktioniert h;tten, und heute erst recht nicht mehr funktionierten.

„Die Krisen der 60er Jahre sind verglichen mit dem gegenw;rtigen Krisenszenario marginal.“
Stellen wir also mit dem Beharren auf dem links-rechts-Schema die falschen Fragen? Oder m;ssen wir sie nur anders stellen?

Der Sozialwissenschaftler Ingo Matuschek, der in einer Studie links-affine Alltagsmilieus untersucht hat, ist davon ;berzeugt, dass sich zwar die Zeiten, nicht aber die Themen ge;ndert h;tten. Soziale Schieflagen oder das Thema Bildungschancen seien heute noch genauso aktuell wie fr;her. „Die Fragestellungen von damals bleiben durchaus bestehen. Antworten sind aber gegebenenfalls neue zu finden – wie auch Wege, diese auf die politische Agenda zu setzen.“

Denn Themen g;be es ja. Die Ungleichheit habe seit den 1960er Jahren so dramatisch zugenommen, meint von Lucke, dass viele ;konomen darin ein Krisenph;nomen des Kapitalismus s;hen. „Heute haben wir es mit einem Kapitalismus zu tun, der st;ndig neue Blasen erzeugt und sich nicht mehr produktiv geriert, also nicht mehr in produktive Sektoren investiert, sondern letztendlich nur noch zum Zweck der Spekulation auf die Finanzm;rkte dr;ngt. Die Krisen der 60er Jahre sind verglichen mit dem gegenw;rtigen Krisenszenario marginal.“

Finanzkrise, Eurokrise, Immobilienblase. Jeder sechste in Deutschland lebt unterhalb der Armutsgrenze, aber g;nnt sich paradoxerweise vielleicht den „Luxus“ im Textil-Discounter ein 5-Euro-T-Shirt aus Bangladesch zu kaufen. Wenn die Verh;ltnisse heute nicht besser, ja vielleicht sogar schlimmer sind als damals in den 70ern, warum ist das linke Denken dann so aus der Mode geraten? Oder noch schlimmer: Ist uns unser politisches Selbstbewusstsein egaler geworden?

„Die Frage, wie man sich politisch positioniert, ist im Zuge einer gro;en Entpolitisierung seit vielen Jahren unter die R;der gekommen,“ meint Albrecht von Lucke, der auch Redakteur der Bl;tter f;r deutsche und internationale Politik ist. „Eine Position zu beziehen ist ja auch aufgrund der un;bersichtlichen globalen Lage schwierig. Diese Ahnungslosigkeit, ist man links, ist man rechts, welche Politik soll man ;berhaupt betreiben, hat auch ein St;ck weit mit dem Luxus unserer Gegenwart zu tun, wo das Politische vermeintlich gar nicht n;tig war.“

Die „luxuri;sen“ Zeiten, in denen man es sich vermeintlich leisten konnte, die Politik sich selbst zu ;berlassen, scheinen aber sp;testens seit ein paar Monaten endg;ltig vorbei zu sein. Vor allem mit der Fl;chtlingskrise kam schlie;lich die Re-Politisierung – allerdings eher im rechten Lager: Da finden sich schlie;lich gerade Viele, die auf die Stra;e gehen und die aktuellen politischen Verh;ltnisse angreifen. Die vergangenen zehn Landtagswahlen brachten etwa eine Million Menschen, die zuvor nicht gew;hlt haben, und knapp eine weitere Million W;hler, die sich von anderen Parteien abwandten: Zwei Millionen Anh;nger der Alternative f;r Deutschland.

Den proportional gr;;ten Verlust hat dabei Die Linke zu verzeichnen. Von links nach rechts? Wie kann das sein, wenn doch die beiden Parteien an den gegen;berliegenden Enden des politischen Spektrums stehen?

„Leute, die eigentlich f;r die Linke erreichbar sein m;ssten, wie die sozial schwache Menschen, w;hlen heute zum Teil eher die AfD,“ meint von Lucke. „Diese hat sich der sozialen Frage in einer ganz fatalen Weise angenommen: als vermeintlich ‚deutscher sozialer Frage’.“ Sie nationalisiere die soziale Frage, indem sie von einem Behauptungskampf der Biodeutschen ausgehe – gegen die, die von au;en kommen. Die v;lkische Definition eines Deutschen also, der sich um des sozialen Friedens Willen vor „den anderen“ sch;tzen muss. „Der AfD geht es also nicht darum, den Konflikt zwischen oben und unten, sondern zwischen innen und au;en aufzumachen.“

Der Sozialwissenschaftler Ingo Matuschek stellt deshalb sogar grunds;tzlich infrage, ob es ;berhaupt linke Themen gibt, oder ob es sich nicht eher um linke Antworten auf spezifische Themen handelt. „Ganz offensichtlich kann ja die Wahrnehmung sozialer Ungleichheit in der Gesellschaft auch zu rechten Einstellungen f;hren, die sich zum Beispiel gegen Asylbewerber richtet.“

Und tats;chlich bestand j;ngst der AfD-Politiker Guido Reil in einer Fernsehsendung darauf: „Ich bin und bleibe ein Sozi, auch in der AfD“. Auf die Nachfrage, was „sozi“ denn ausmache, meinte Reil, er sei „strotz-sozial“ eingestellt und „helfe gerne Menschen.“ W;hrend vor allem finanziell schwache Rentner in Deutschland am Existenzminimum leben m;ssten, w;rden junge M;nner aus dem Nahen Osten und Nordafrika, „strotz-gesund und gut gekleidet“, in Deutschland das „Rundum-sorglos-Paket“ genie;en.

Bedeutet das nun, dass wir die Linke bald unter traurigem „Internationalen“-Gesang zu Grabe tragen m;ssen? Noch nicht ganz. Historisch gesehen haben die Linken und die Rechten eine Gemeinsamkeit, die Alfred von Lucke noch hoffen l;sst. „Die AfD, so gef;hrlich sie in Teilen ist, ist auch eine Chance. Sie k;nnte eine Repolitisierung in der Breite erzeugen – n;mlich als eine Gegenreaktion auf die neue Rechte – genauso wie wir nach 1967 eine Politisierung in der Breite, ausgel;st damals allerdings von links, bekommen haben.“

Play. Ein Mann vor grauem Hintergrund im Interview. Es ist der Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar, einer der Experten im Film. Er erkl;rt, dass die Rote Armee Fraktion die st;rkste innenpolitische Herausforderung der 70er Jahre f;r die Bundesrepublik war. „Sie war wie ein Test, in dem sich zeigte, wie man sich verhalten w;rde.“

F;r die Frage „Bist du links?“ m;sste man mir definitiv Multiple-Choice-Antworten anbieten. Aber beim aktuellen gesellschaftlichen Test, wie wir uns informieren k;nnen und politisieren sollten gibt es zum Gl;ck keine richtigen oder falschen Antworten. Aber ein Kreuzchen sollte man eben schon machen. Sp;testens bei der n;chsten Wahl.


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