Die Idee der Weltverbesserung

Die Idee der Weltverbesserung ist die sublimierte Rache an seinem Vater.



Ein anderes Thema, das Sie haeufig behandelt haben, ist Gerechtigkeit und Vergeltung.

DUERRENMATT: Ja, das hat Gruende.

Sind Sie als Kind oft verpruegelt worden?

DUERRENMATT: Ach, wissen Sie, als Sohn eines Dorfpfarrers sind Sie natuerlich eine Verlockung. Es gab da eine bestimmte Bande von Jungen, fuer die war es besonders reizvoll, den Pfarrerssohn zu verpruegeln. Die haben mir aufgelauert, wenn ich zur Schule ging. Ich habe dann immer tollere Schleichwege erfunden. Das Merkwuerdige ist, da; die Namen dieser Kerle fast ueberall in meinen Buehern vorkommen. Ich hatte sie laengst vergessen, da finde ich ploetzlich in einem Kriminalroman, den ich vor vielen Jahren geschrieben habe, einen Polizisten, der genauso heisst wie eines dieser Bandenmitglieder. Dummerweise gibt es auch einen Theaterkritiker mit diesem Namen. Der meint nun, das sei auf ihn gemuenzt, was natuerlich ganz bloed ist.

Sind Sie auch von Ihrem Vater geschlagen worden?

DUERRENMATT: Nein, nie. Mein Vater war vollkommen gewaltlos. Das Gefuehl der Rebellion, das ich als mein zweites Grundmotiv ansehen moechte, ist viel mehr durch die Schule entstanden. Die Schule war fuer mich etwas Entsetzliches, dieses Gehorchen-Muessen, das habe ich als fortwaehrende Bedrueckung empfunden. Daraus ist dann auch das Motiv der Rache entstanden. Die erste, unreflektierte Form der Rebellion ist ja die Rache. Man will sich fuer etwas raechen, was einem in der Kindheit angetan wurde.

Wollen Sie damit sagen, dass die Idee der Revolution nicht auf politische, sondern auf private Beweggruende zurueckgeht?

DUERRENMATT: Ja, das ist bei Marx doch ganz deutlich. Das Verrueckte bei Marx ist seine Herkunft. Der Vater stammte aus einer streng orthodoxen Rabbinerfamilie, ist aber zum Luthertum uebergetreten und war dann ein treuer, preussischer Staatsbeamter. Auf der einen Seite haben Sie bei Marx den Widerstand gegen das Juedische, der sich darin aeussert, dass er den Erloesungsgedanken in eine scheinbar politische Lehre verdreht hat, auf der anderen Seite den Aufstand gegen das Preussentum, das der Vater verkoerpert. Die Idee der Weltverbesserung ist die sublimierte Rache an seinem Vater. Das Politische war nur Vorwand. Deshalb war es auch auf die Realitaet nicht uebertragbar. In dem Moment, wo eine Idee zur Ideologie wird, ist sie schon zum Scheitern verurteilt, denn man kann sich ja nicht verallgemeinern. Letzten Endes kann man nur ueber sich selbst etwas sagen.

Ist die Verzweiflung ueber dieses Scheitern die Ursache des Terrorismus?

DUERRENMATT: Nein, denn die Terroristen sind doch gar nicht verzweifelt. Ich meine, was ist Verzweiflung? Das ist doch eigentlich ein Gefuehl der Laehmung. Wenn ich verzweifelt bin, dann gehe ich in das Unbegreifliche. Das ist wie das schwarze Loch. Dann kann ich auch keine Bomben mehr schmeissen.

Nein, aber der Ausweg aus der Verzweiflung sind eben die Bomben.

DUERRENMATT: Ich weiss nicht. Verzweiflung ist eine Aussage, die sehr schwer zu machen ist, weil sie rein subjektiv ist. Das ist eine Frage der Glaubwuerdigkeit. Der Terrorist lebt in einer rauschhaften Welt. Er sucht das Abenteuer. Das ist wie im Krieg. Das Erschreckende am Krieg ist ja, dass er fuer die, die ihn mitgemacht haben, immer noch das tollste Erlebnis ist, das sie hatten. Auf diese Weise wird dann immer alles ertraeglich. Das Schwierigste, was zu ertragen ist, ist ja die Langeweile. Indem Sie etwas tun, sind Sie schon nicht mehr in der Verzweiflung.


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