Sprache und Politik

Sprache und Politik
Belastete W;rter
Thorsten Eitz

15.07.2010

Entartung, Ostzonen-KZ, Aids-Gestapo: In ;ffentlichen Debatten werden Nazibegriffe und NS-Vergleiche selten kritisch eingesetzt. Meist soll mit ihnen Aufmerksamkeit erregt werden. Mittlerweile hat sich aber auch ein eigener Kritikwortschatz herausgebildet.

Der Vergleich von K;fighaltung mit den KZs der Nazis wie hier auf einer Demonstration in Berlin im Jahr 2000 ging auch vielen Tiersch;tzern zu weit. Foto: dpaIn Lightbox ;ffnen
Der Vergleich von K;fighaltung mit den KZs der Nazis wie hier auf einer Demonstration in Berlin im Jahr 2000 ging auch vielen Tiersch;tzern zu weit. (© dpa)

Als im M;rz 2010 die Hartz-IV-Debatte erneut hochkochte, warf der Kabarettist Michael Lerchenberg dem FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle vor, er wolle Hartz-IV-Empf;nger in einem mit Stacheldraht umgebenen Lager sammeln, ;ber dessen Eingang der Satz stehe: Leistung muss sich wieder lohnen. Daraufhin bezeichnete Charlotte Knobloch, die Vorsitzende des Zentralrats der Juden, "Scherze, die das Leid der Opfer in den Konzentrationslagern verharmlosen oder gar der L;cherlichkeit preisgeben" als "eine Schande"; die bayerische FDP-Generalsekret;rin Miriam Gru; forderte von Lerchenberg eine sofortige Entschuldigung. Auch Westerwelle selbst wies die "Nazi-Vorw;rfe" emp;rt zur;ck: "Scharf kritisiert zu werden, geh;rt zu meinem Amt dazu. Mit einem KZ-W;chter verglichen zu werden, geht zu weit", schrieb Westerwelle in einem Brief. Das Beispiel zeigt, dass oft nicht einmal die konkrete Verwendung eines belasteten Wortes notwenig ist, sondern die blo;e Assoziation ausreicht, um eine sprachliche Auseinandersetzung auszul;sen.

NS-Vokabular und NS-Vergleiche
NS-Vokabular und NS-Vergleiche, also die ;bertragung eines Wortgebrauchs im metaphorisch-vergleichenden Sinn, werden noch heute teils inflation;r verwendet. Woran liegt das? W;hrend einerseits nach 1945 ein Gro;teil des NS-Vokabulars unterging bzw. als Vermeidungsvokabular tabuisiert wurde, wurden andererseits viele NS-Vokabeln oder als NS-Vokabular deklarierte Ausdr;cke weiterverwendet – entweder unreflektiert oder aber als NS-Wortschatz gekennzeichnet und zum Teil als Diffamierungs- und Vorwurfsvokabeln oder Stigmaw;rter eingesetzt.

Diese Praxis des instrumentalisierenden Gebrauchs von NS-Vokabular – also etwa Personen-Vergleiche (z.B. Hitler- oder Goebbels-Vergleiche), Vergleiche mit Methoden (z.B. Machtergreifung, Gestapo, Anschluss), Institutionen (z.B. SA, SS, Wehrmacht), Verbrechen (z.B. Konzentrationslager, Euthanasie) oder Gebietsanspr;chen (Gro;deutschland) der Nationalsozialisten – zeigt nicht nur, wie brisant der sprachliche R;ckbezug auf die NS-Vergangenheit ist. Sie zeigt auch, dass diese "belasteten" W;rter, also Ausdr;cke, die negative Assoziationen an die NS-Zeit wecken, im politischen Tagesgesch;ft zumeist nicht historisch-aufkl;rend verwendet werden. Allzu oft geht es nicht darum, vor ihrem Gebrauch und der damit bef;rchteten Weiterverbreitung der mit ihnen verkn;pften Gesinnung zu warnen. Sie werden nicht nur als legitime "Zitatw;rter" oder warnend bzw. gesinnungskritisch im Sinne einer "sprachlichen Bew;ltigung der Vergangenheit" gebraucht, sondern leichtfertig oder absichtlich eingesetzt, um die Aufmerksamkeit der Medien zu erregen und/oder um unliebsame Zeitph;nomene, den politischen Gegner bzw. seine Haltung, Programmatik oder Handlungen in sch;rfster Form zu kritisieren und diskreditieren. So verglich etwa der Chef des M;nchener Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, im Oktober 2008 im Berliner Tagesspiegel die Managerschelte in Folge der Wirtschaftskrise mit der Judenverfolgung: Damals habe es "in Deutschland die Juden getroffen, heute sind es die Manager".

Historischer Abriss
Diese Sprachpraxis hat eine lange Geschichte. Sie beginnt schon in der fr;hen Nachkriegszeit, als 1947 der zu NS-freundliche Sonderminister f;r Entnazifizierung (Alfred Loritz) etwa vom SPIEGEL als "blonder Hitler" [1.3.1947] tituliert wird. Im in der fr;hen Nachkriegszeit beginnenden und sich schnell zuspitzenden Kalten Krieg war es in den Medien wie auch partei;bergreifend m;glich und ;blich, Ausdr;cke wie KZ, Gestapo, oder SS in Vergleichen als Vorwurfs- und Diffamierungsvokabeln zu verwenden: Die NEUE ZEITUNG bezeichnete z.B. 1948 die neu gegr;ndete Abteilung K5 der Kriminalpolizei in der SBZ als "Gestapo der Ostzone" [NEUE ZEITUNG, 15.7.1948]. Die ZEIT charakterisierte 1950 das neu geschaffene Staatssicherheitsamt (SSA) der DDR stigmatisierend als "SSA statt SS und SA" [DIE ZEIT, 2.3.1950], und die RHEINISCHE POST diffamierte Walter Ulbricht, den stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrates der DDR, 1949 als "Gestapochef" [RHEINISCHE POST, 2.11.1949]. Die in der SBZ als Kriegsgefangenen- und Internierungslager weitergef;hrten ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald, Sachsenhausen und F;nfeichen wurden diffamierend als Ostzonen-KZ bezeichnet.

Diese Vergleichspraxis setzte sich w;hrend der gesamten f;nfziger und zu Beginn der sechziger Jahre fort. Am 13.8.1961, dem Beginn des Mauerbaus, erkl;rte der regierende B;rgermeister Berlins, Willy Brandt (SPD), "die Ma;nahmen" seien "ein emp;rendes Unrecht", denn sie "bedeuten, da; mitten durch Berlin nicht nur eine Art Staatsgrenze, sondern die Sperrwand eines Konzentrationslagers gezogen" [Externer Link:zur Erkl;rung auf chronik-der-mauer.de] w;rde. Den Vorsitzenden des Staatsrats der DDR, Walther Ulbricht, bezeichnete die RHEINISCHE POST als "KZ-Chef der Zone" [RHEINISCHE POST, 26.8.1961] und die DDR als "Ulbrichts gro;es Konzentrationslager" [RHEINISCHE POST,17.8.1961].

1976 erstritt sich Fernsehmoderator Bernhard Grzimek das Recht, die K;fighaltung von Legehennen mit dem Ausdruck KZ-Eier kritisieren zu d;rfen, in den Abtreibungsdebatten wurden abtreibende Frauen als Massenm;rderinnen, die Abtreibung als Holocaust, Embryocaust oder Babycaust diffamiert, und seit 1979 verwenden Atomkraftgegner Parolen wie "Gorleben ist Holocaust".

In einer Fernseh-Debatte am 12. Mai 1985 bezeichnete Willy Brandt den CDU-Generalsekret;r Heiner Gei;ler als "seit Goebbels schlimmsten Hetzer in unserem Land". Im Jahr 1986 verglich Bundeskanzler Kohl den sowjetischen Generalsekret;r Michail Gorbatschow mit Goebbels. Gorbatschow sei "ein moderner kommunistischer F;hrer, der sich auf Public Relations versteht. Goebbels, einer von jenen, die f;r die Verbrechen der Hitler-;ra verantwortlich waren, war auch ein Experte f;r Public Relations" [Externer Link:helmut-kohl.de].

Im Bundestagswahlkampf 1986/87 entfaltete sich mit der Aussage Helmut Kohls, die DDR halte Menschen "in Gef;ngnissen und Konzentrationslagern" interniert [Externer Link:www.hdg.de/lemo], eine breite ;ffentliche Debatte. Weite Teile der ;ffentlichkeit reagierten mit heftigen Vorw;rfen und Ablehnung des "Nazibegriffs". Die niederl;ndische Anne-Frank-Stiftung warf Kohl vor, "er trage zur Bagatellisierung von Verbrechen bei, die in der Geschichte einmalig seien." [NRZ, 8.1.1987] ;hnlich kommentierte der Vorsitzende der J;dischen Gemeinde Berlin, Heinz Galinski: "Wer diese schrecklichen Geschehnisse der Vergangenheit mit heutigen Ereignissen vergleicht, geht einen gef;hrlichen Weg", einen Weg, "Vergessen zu predigen und die Vergangenheit zu verharmlosen." [TAZ, 6.1.1987] Der aus der DDR ausgeb;rgerte Liedermacher Wolf Biermann bezeichnete diese Vergleichspraxis als "eine Verh;hnung der Millionen Opfer in den faschistischen Konzentrationslagern" [NRZ, 8.1.1987] und als eine "Verharmlosung der Nazi-Verbrechen" [TAZ, 8.1.1987].

Auf dem H;hepunkt der Auseinandersetzung ;ber den gesellschaftspolitischen Umgang mit der Immunschw;chekrankheit Aids verwendeten Ende der achtziger Jahre die Bef;rworter rigoroser Zwangsma;nahmen zur Eind;mmung der Krankheit umstrittene NS-Vokabeln, um diese politische Programmatik zu legitimieren und durchzusetzen. Sie forderten z.B. eine staatliche Auslese, sprachen von absondern [DER SPIEGEL, 9.2.1987], von konzentrieren [DER SPIEGEL, 16.3.1987], von Entartungen, die ausged;nnt [DER SPIEGEL, 2.3.1987] werden m;ssten oder von Seuchenherden, die auszumerzen [STERN, 19.2.1987] seien. Kritiker dieser Politik bef;rchteten die Installation einer Aids-Gestapo [TAZ, 9.12.1988], ein Wiederaufleben des Begriffs lebensunwertes Leben und staatlicher Euthanasieprogramme [DIE ZEIT, 27.2.1987], eine Endl;sung f;r AIDS-Betroffene [TAZ, 21.5.1987] und die Einrichtung von Aids-KZs [DER SPIEGEL, 25.5.1987].

Seit Ende der achtziger Jahre wurde in den Debatten ;ber die M;glichkeiten der neuen Pr;nataldiagnostik bzw. Pr;implantationsdiagnostik immer wieder die NS-Termini lebensunwertes Leben und Euthanasie verwendet, mit denen die Nationalsozialisten die Sterilisation und T;tung "geistig oder k;rperlich Minderwertiger" bezeichneten.

2002 soll die damalige Justizministerin Herta-D;ubler-Gmelin US-Pr;sident George Bush mit Hitler verglichen haben und musste daraufhin ihr Amt aufgeben. Im selben Jahr sorgte auch der "Judenstern"-Vergleich des hessischen Ministerpr;sidenten Roland Koch f;r Emp;rung: Koch kritisierte Ver.di-Bundeschef Frank Bsirske daf;r, in der Debatte um die Verm;genssteuer Namen reicher Deutscher genannt zu haben. Dies sei eine neue Form "von Stern an der Brust", so Koch in einer Landtagsdebatte am 12. Dezember 2002 [TAZ, 13.12.2002]. Am 3. Oktober 2003 hielt der Bundestags-Abgeordnete Martin Hohmann in Neuhof bei Fulda eine Rede, die zum Skandal wurde, "(…) weil der Redner judenfeindliche Klischees bedient, weil er antisemitische Ressentiments, Vorurteile und Feindbilder in seiner Beweisf;hrung genutzt hatte". (Benz, 2004, S. 156) In seiner Rede operierte Hohmann auch mit dem Begriff des "T;tervolks": "Nach der detaillierten Schilderung 'j;discher' Menscheitsverbrechen durch die Erfindung und Durchsetzung des Bolschewismus, mit der 'die Juden' zum T;tervolk definiert werden k;nnten, erkl;rt Hohmann dann in einer rhetorischen Volte, wenn die Juden nicht als T;ter wahrgenommen w;rden, dann seien die Deutschen auch nicht schuldig." (Benz, 2004, S. 158)

2005 kam es zu erregten Debatten, als Oskar Lafontaine am 14. Juni bei einer Kundgebung in Chemnitz von "Fremdarbeitern" sprach, 2007 sorgten die Aussage des K;lner Kardinals Joachim Meisner ;ber eine "Kultur, die entartet" [TAGESSPIEGEL, 16.9.2007] und der Pseudo-Autobahn-Vergleich der ehemaligen Tagesschau-Sprecherin Eva Hermann [BERLINER MORGENPOST, 12.10.2007] f;r wochenlange ;ffentliche Debatten. Und 2009 brachte der Augsburger Bischof Mixa "die Zahl der Holocaust-Opfer mit den in Deutschland durchgef;hrten Abtreibungen in Verbindung" [RHEINISCHE POST, 3.3.2009].



Fazit
Wie dieser nur sehr kurze und notwendigerweise unvollst;ndige Abriss zeigt, werden NS-Vokabular (oder nur als solche aufgefasste W;rter) und NS-Vergleiche schon seit langem in der politischen Auseinandersetzung verwendet. Die Zunahme dieser Sprachpraxis w;hrend der vergangenen Jahrzehnte, die geschichtliche Aufarbeitung des Nationalsozialismus und die allm;hliche Entstehung eines gesellschaftspolitischen Konsenses ;ber die Unvergleichbarkeit der NS-Verbrechen f;hrte zugleich aber auch zur Entwicklung einer ;ffentlichen Kritik am instrumentalisierenden Gebrauch dieser als "unangemessen" betrachteten Vokabeln und zu einem eigenen Kritikwortschatz mit Ausdr;cken wie unvergleichbar, belastete W;rter, relativieren, verharmlosen, bagatellisieren, verniedlichen und Verh;hnung der Opfer.

Inzwischen hat sich in der ;ffentlichen Kommunikation ein festes Handlungsschema etabliert: Nach dem – gewollten oder fahrl;ssigen – Tabubruch durch die Verwendung eines "belasteten" Wortes oder eines NS-Vergleichs wird dieser Gebrauch in den Medien als "unangebracht" kritisiert, da er den gesellschaftlichen Konsens ;ber die Einzigartigkeit der NS-Verbrechen verletzt. Daraufhin folgt unweigerlich eine ;ffentliche Entschuldigung, das Eingest;ndnis eines Irrtums oder die Behauptung, man habe die ;u;erung gar nicht get;tigt, gar nicht vergleichen oder in Beziehung setzen wollen.

Hier zeigt sich – zum Teil bei den gleichen Sprechergruppen – das Auseinanderfallen von ;ffentlich vertretener Norm und tats;chlichem Sprachverhalten. Das Streitthema "Vergangenheitsbew;ltigung" wird im politischen Gesch;ft der "Bew;ltigung der Gegenwart" von allen Parteien und gesellschaftlich relevanten Gruppierungen ausgenutzt. Trotz der inzwischen ritualisierten, geradezu reflexhaft gewordenen ;ffentlichen Kritik erfreut sich die Benutzung von NS-Vokabular und NS-Vergleichen in der ;ffentlichen Kommunikation stetig wachsender Attraktivit;t. Diese immer noch zunehmende Inflationierung f;hrt im Resultat aber nicht nur zu einer Relativierung der NS-Verbrechen, sondern auch dazu, dass sich dieser Sprachgebrauch allm;hlich "abnutzt". Je h;ufiger NS-Vokabular und NS-Vergleiche eingesetzt werden, desto allt;glicher erscheinen sie und desto weniger zuverl;ssig funktioniert ihr Einsatz als "Eyecatcher" und "Waffe" in der politischen Auseinandersetzung. Die gezielte sprachliche Normverletzung sichert nicht mehr automatisch die ;ffentliche Aufmerksamkeit. Ablesen l;sst sich das unter anderem daran, dass inzwischen eine Vielzahl solcher sprachlichen "Entgleisungen" von den Medien nur noch vermeldet, jedoch nicht mehr kritisch kommentiert werden und dass neue Bildspendebereiche wie etwa die DDR oder die Stasi (z.B. Stasimethoden) auftauchen.

Literatur
Benz, Wolfgang: Was ist Antisemitismus? Bonn 2004 (Lizenzausgabe f;r die Budneszentrale f;r politische Bildung)


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