Sprachlupe Selbsternannte Pruegelknaben
Daniel Goldstein / 16.07.2022 Um Amtsanmassung geht es selten, wenn Medien jemanden als «selbsternannt» bezeichnen. Meistens finden sie etwas anderes anmassend.
«Gegen;ber der BBC erkl;rte der selbsternannte ‹Hypochonder›, er hoffe, hier der Corona-Pandemie zu entkommen.» Hat sich der Popstar Robbie Williams wirklich zum Hypochonder ernannt, wie es diese Bildschirm-Meldung aus dem Berner Oberland behauptete – und kann man das ;berhaupt tun? Hypochondrie wird einem ja durch Diagnose attestiert, nicht durch Ernennung. Und wenn sich jemand selber als Hypochonder bezeichnet, steht man vor dem Kreter-Paradox, das die Bibel aus der Antike ;berliefert: «Die Kreter sind L;gner», habe einer von ihnen gesagt. Hat er dabei gelogen? Und bildet sich Williams nur ein, er bilde sich – hypochondrisch eben – Krankheiten ein, darunter die Hypochondrie?
Dieses R;tsel bleibt ungel;st, wenn man das englische Original der Meldung nachschaut, aber immerhin l;st sich dann die «Selbsternennung» auf: Von «self-proclaimed hypochondriac» ist da die Rede. Damit ist nicht unbedingt eine Ernennungspose verbunden, Williams kann sich auch einfach als Hypochonder bezeichnet haben. Man k;nnte von «selbsterkl;rt» reden, geriete dann aber in Konflikt mit «selbsterkl;rend», wo es um etwas anderes geht: Selbsterkl;rendes braucht keine weiteren Erkl;rungen, wogegen beim Selbsterkl;ren jemand ;ber sich selbst eine Erkl;rung abgibt. Der S;nger ist also nach eigenem Bekunden ein Hypochonder.
Wer ernennt sich zur Mafia?
Wenn Medien von «selbsternannt» reden, meinen sie oft etwas Anr;chiges oder aber ;berhebliches. Eine Stichprobe in der Datenbank SMD f;rdert zutage: Wunderheiler, Meinungsmafia, Wellness-Guru, Heiland, Sprachpolizei. Da ist sehr zweifelhaft, ob sich die Betroffenen wirklich so bezeichnet haben; Belege gibt es selten. Manchmal muss man sich auch fragen, wer denn diese Selbsternennung vollzogen habe; einmal soll es die «gehobene Mittelschicht» gewesen sein. Oder es geht um etwas, das gar kein Selbst haben kann: Lebenswerk, Ziel. Das eine hatte eine Wirtin, das andere eine Sportlerin genannt, ohne Ernennung. Immerhin: Geredet haben sie selbst.
Nach der Rechtschreibereform von 1996 war man ein Jahrzehnt lang gehalten, «selbst ernannt» in zwei W;rtern zu schreiben – entgegen der damals eingef;hrten Regel, zusammenzuschreiben, wenn etwas eingespart worden ist. Genau das ist hier der Fall: Angeblich ist ja Robbie W. ein «von sich selbst ernannter» Hypochonder, auch wenn man «von sich» wegl;sst. Seit der Revision der Reform ist die neue, getrennte Schreibweise fakultativ. Mit «selbsternannt» kann man nun der erw;hnten Einsparungsregel gehorchen, nur gibt es die gar nicht mehr. Daher schlage ich eine neue Regel vor, nicht f;rs Schreiben, sondern f;rs H;ren und Lesen: misstrauisch sein, wenn man «selbsternannt» antrifft.
Fast immer ist das Wort absch;tzig gemeint, selbst wenn ein echtes Zitat vorliegt – wie bei einem anderen S;nger, J;rgen Drews, dem «K;nig von Mallorca». Und sogar wenn mit «selbsternannt» eine Distanzierung angestrebt wird, kann eine unbeabsichtigte Anerkennung herauskommen. So ist immer wieder von den «selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk» die Rede – als h;tten sich die bestehenden ukrainischen Regionen in Volksrepubliken umbenannt. Dabei taten das die Separatisten und ihre Moskauer Hinterm;nner. Wer statt russisch «Lugansk» ukrainisch «Volksrepublik Luhansk» schreibt, macht die Sache nur noch schlimmer, mit oder ohne «selbsternannt».
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