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Sprachlupe: «Collateral» sind nicht Schaeden, sondern Menschen
Daniel Goldstein / 26.03.2022  Der Kreml weist die Schuld fuer zivile Opfer in der Ukraine von sich – und zeigt, dass sie ein Teil seines Kriegskalkuels sind.

Der Ukraine (und uns) bleibt in den Moskauer Verlautbarungen ueber die «Spezialoperation» das unselige Wort «Kollateralschaeden» erspart. So umschrieben die USA zivile Opfer in Afghanistan oder Irak und suggerierten damit eine bedauerliche, aber unvermeidliche Nebenwirkung der Kriege. So etwas hat Russland nicht noetig: Es greift ja nach eigener Darstellung nur militaerische Ziele an und trifft auch nur solche. Ist einmal ein Spital oder ein Theater unuebersehbar zerbombt, dann ist sogleich die Begr;ndung zur Hand, da sei Kriegsmaterial gelagert worden oder haetten ukrainische Soldaten Kranke und Pflegende als menschliche Schutzschilde missbraucht.

Dass russisches Militaer selber just das wirklich getan hat, geht in mindestens einem Fall aus glaubhaften Berichten ueberlebender hervor. Und das grausame Abwuergen der Stadt Mariupol ist auch eine gigantische Geiselnahme, konnte doch laengst nicht die ganze Bevoelkerung durch die staendig schikanierten «humanitaeren Korridore» in Sicherheit gelangen – oder nur in eine prekaere Lage: mit Evakuation, vielleicht gar Deportation Richtung Russland.

Kriegsziel und Faustpfand

Die Zivilbev;lkerung zu qu;len, ist also nicht eine Begleiterscheinung dieses Krieges, sondern eines seiner Mittel. Auch die anfaengliche Beteuerung Moskaus, es strebe keine Besetzung an, hat sich als hohl erwiesen. Inzwischen schliesst der Kremlsprecher «die Moeglichkeit nicht aus, die vollstaendige Kontrolle ueber besiedelte Gebiete zu uebernehmen». Wenn es dabei zivile Opfer und Zerstoerungen gibt, dann ist – wie Putin schon vor dem Einmarsch sagte – die Ukraine selber schuld. Und nun doppelt er mit der Behauptung nach, dem «Kiewer Regime» sei «das Schicksal seiner eigenen Bevoelkerung egal».

Eine Mitschuld weist der Kreml den westlichen Laendern zu, die Waffen liefern: das verlaengere den Krieg. Wahrscheinlich trifft das zu, aber als Argument des Angreifers ist es zynisch, denn es bedeutet: Die Ukraine soll ganz im Stich gelassen werden und sich widerstandslos ergeben, dann gibt es auch keine Opfer mehr. Ausser dass dann alle, die unter Russlands Herrschaft fallen, Opfer werden – jedenfalls als Geiseln, ausgesetzt der angekuendigten Strafjustiz und «Entnazifizierung». Sie waeren dann «collateral» nicht im Sinn von «begleitend», sondern als Faustpfand, was das englische Wort ebenfalls bedeutet – und was die Umzingelten in Mariupol schon sind


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