Pheodor

I. Die Erscheinung des Meisters

Pheodor  wusste, dass viele Menschen sich nicht fragen, was das Leben ist, warum sie geboren, woher sie in diese Welt gekommen sind und wohin sie gehen werden, wenn sie es abgelebt haben. Aber er selbst gehörte nicht dazu. Diese Fragen beschäftigten ihn ständig. Und um die Zeit nach dem Militärdienst schlug das innere Gefühl, auch körperlich, immer stärker an, dass JEMAND bald zu ihm kommen würde, vielleicht direkt nach Hause und wird all diese quälenden Fragen genau beleuchten. Es war eine sehr seltsame Empfindung, fast mystisch, die in einer parallelen Zeit oder Welt geschah, obwohl Pheodor war in seiner Gesinnung zu dem Moment eher ein eindimensionaler Rationalist und ein Pragmatiker, wie die meisten in seinem Alter, als ein Betrachter unbegrenzter Geheimnisse der Schöpfung. Seine Hauptgedanken drehten sich um Träume ein mehr oder weniger erträgliches junges Mädchen zu schnappen und so schnell wie möglich mit ihm ins Bett zu gehen. Obwohl Pheodor bereits aus der Armee entlassen wurde, hat er weder vorher noch nachher dieses brennende Vergnügen probiert, wenngeich darum viel gelogen hatte, seinen Kameraden ausführlich von seinen nicht existierenden Abenteuern zu erzählen. Er hat auch über Reichtum und ehrgeizige Anerkennung oder Ruhm geträumt. Denn Pheodor wollte Komponist werden. Ohnehin hatte er im Allgemeinen eine sehr primitive Vorstellung von Glück, eher übliche in der halbintelligenten und geistlosen Umgebung  der Mittelklasse. Es war Zeit draußen der sogenannten Stagnation. Alles verlief wie in Halbvergessenheit. Religion und Kirche waren düstere und abstoßende Vogelscheuchen, die mit einem feindseligen Grinsen für die Rückständigkeit des Bewusstseins dem sozialistischen Konformismus sorgten. Um sich irgendwie abzuheben, begann Pheodor sich mit der Avantgarde-Musik zu beschäftigen und fiel dadurch aus dem Kultur-Mainstream in die verfolgten Außenseiter. Pheodor gründete ein Ensemble freier Improvisation, mit einer recht originellen Ästhetik und trat in Konzerten in unzähligen proletarischen Clubs auf. Mit halbleeren Hallen. Eines Tages "inkarnierte" sich eine gewisse exotische Besuchergruppe und blieb begeistert durch das ganze Konzert, das fast vier Stunden dauerte, in dem Pheodor unter dem Klavier hin kletterte, um sich zu erholen, während die anderen Mitglieder des Ensembles improvisierten. Danach stellte sich heraus, dass das begeisterte Publikum homosexuell war. Sie haben Drogen geschluckt und die "formlose" Musik für ihre psychedelischen "Flüge" angepasst.
So ging das Leben weiter. Das angespannte Gefühl der Ankunft eines persönlichen "Propheten" wuchs dennoch. Und tatsächlich erschien um Pheodor plötzlich eine Menge von Kumpels, die Esoterik und Zen praktizierten, Energiefelder mit Stäbchen wie schnauzbärtige Kakerlaken ermittelten. Dazu kamen Buddhisten und andere Okkultisten aller Couleur. Alle priesen ihren Sumpf. Aber die Seele  Pheodor;s wusste: Das ist nicht DAS, worauf sie wartete. Und plötzlich passierte DAS. Aber Pheodor bemerkte dies nicht, weil es anders kam, als er erwartet hatte. Es geschah nachts und es war wie ein Gesicht, doch kein Traum, sondern wie eine Vision, real, aber in einer anderen zeitlichen und räumlichen Dimension. Er sah sich mitten in einem etwas bewölkten Tag  ; bedeutet „wolkig“ ein Spiegelbild seiner unreinen und unerleuchteten Seele? ;  am Fuße eines ziemlich hohen Hügels ; am "Fuß " heißt im geistlosen Abgrund in Bezug auf den HOHEN Hügel, wo die absolute Wahrheit weilt? An der Spitze des Hügels stand mit dem Rücken zu Pheodor irgendeiner Mann, der Jünger für sich rekrutierte. Pheodor hat es gleich verstanden, obwohl alles wortlos ablief. Auf der anderen Seite des Hügels am Fuße standen viele Leute, und sie alle waren in historischen biblischen Kleidern gekleidet. Pheodor beobachtete alles was geschah distanziert aus dem Raum seiner Zeit. Neben ihn stand der Bassist aus seinem Ensemble. Pheodor bemerkte ihn später. Immer mehr und mehr faszinierte ihn das Bild des Mannes am Hügel, als er sich schließlich an einem  ekstatisch begeisterten Gedanke erwischte: „Das ist WIRKLICH MENSCH !!! (Das sagte Pilatus über Ihn: Sehet, welch ein Mensch!! wie Pheodor später im Evangelium las). Etwas sagte  im Innern Pheodors: Das ist Christus. Pheodor erkannte Ihn sofort. Welche erstaunliche und anziehende Schönheit! Welch ein Segen, sein Jünger zu werden! Aber ist er, Pheodor, dafür wert?" Diese Erkenntnis seiner Unwürdigkeit kam völlig unerwartet für seinen weltlichen Stolz und latente Selbstherrlichkeit. Und das war etwas Neues. Und da sah Pheodor, wie der Mann oben, der Christus, drehte seinen Kopf zu ihm, und Pheodor sah etwas Außergewöhnliches: Eine unglaubliche Kraft, die das Universum enthält, als zwei superenergetische Strahlen gingen von Seinen Augen aus, aber da war so viel Liebe und Wärme!! Plötzlich hörte Pheodor stille, als ob telepathische Worte, an ihn gerichtet: "Nun, wenn du so demutsvoll von dir denkst, komm zu Mir." Oh, dies ist die paradiesische Erfüllung der alten Erwartung! Diese Berufung! Steige auf, bedeutet das die untere Welt und ihr sündiges Leben zu verlassen? Aber wieder die gewöhnliche Eitelkeit packte ihn, und Pheodor dachte entzückt an den Bassisten, der neben ihm stand: "Aber dich hat Er nicht berufen." Und erschrak gleich von Panik, jetzt wird er wegen der anmaßenden Überheblichkeit zurückgewiesen. Vielleicht hat ihn diese panische Befürchtung gerettet. Er darf doch weiter aufsteigen. Pheodor machte die ersten Schritte nach oben, und dann löste sich plötzlich die Vision auf.

Erst ein Jahr später erkannte Pheodor den außergewöhnlichen Charakter dessen, was passiert war, als er sich "zufällig" in einer Kirche an der Wolga mit dem sinnbildlichen Namen "Empfängnis" wiederfand. Hier wurde auf ihn wörtlich ein goldener Regen der Gnade des Heiligen Geistes ausgegossen.
Er fiel, von Ihm überwältigt, auf den Steinboden und brach in süßes, reuevolles Schluchzen mit fließenden Tränen aus.
Die gläubigen Babuschkas merkten das göttliche Phänomen, näherten sich ihm, hielten ihm Geld hin und baten darum, für sie zu beten.
So wurde Pheodor ein Nachfolger Christi, der ihm auch die schmerzlichen Fragen des Lebens erklärte. Und der Bassist wurde später ein Anhänger der Sekte Hare Krishna. Er wurde von Christus tatsächlich nicht aufgenommen. Vielleicht  bis auf Weiteres...

II. Das Gespräch mit Christus

Christus erscheint noch mal dem naiven, geistig unerfahrenen, von der atheistischen Umgebung geprägten Pheodor. Dies Mal aber nicht leiblich, sondern im Geiste.
Pheodor fragt Christus um den Sinn des Lebens.

                ***
- Herr, du hast mich berufen, zu dir aufzusteigen, und ich habe Fragen an dich. Rede einfach bitte mit mir ohne Gleichnisse und in der heutigen einfachen Sprache.
- In Gleichnissen spreche ich nur mit Außenstehenden.
- Herr, ich habe Angst, mit dir zu sprechen.
- Weißt du nicht, dass du auch ein Gott bist und mit mir auf Augenhöhe reden kannst?
- Wie Gott? Die Kirche verbietet mir daran zu denken,  als Ausdruck eines satanischen Stolz.
- Das stimmt, du bist nur potentiell ein Gott. Du bist das Bild des himmlischen Vaters. Du hast viel verloren durch Ungehorsam  deiner Urahnen. Aber mein Vater hat mich auf die Erde gesandt, um dich zu befreien und zu erlösen, und dir  Möglichkeit zu geben, mir gleich zu werden. Du kannst sogar auf dem Wasser laufen und die Toten auferwecken. Aber wie gesagt, potentiell. Nur wenige erreichen das und wollen es. Die meisten leben – du weisst es – wie in einem Traum.
- Herr, falls möglich, würde ich gerne wissen, woher ich komme und wohin ich gehen werde.
- Deine Vorfahren, die das ewige Leben verloren hatten, erhielten von Gott dem Vater die Gelegenheit, die verlorene Unsterblichkeit nachahmen, indem sie sich in der Nachkommenschaft reproduzieren. Nach Vaters Plan sollte dies  bis zu meiner Ankunft und meinem Tod am Kreuze dauern. Du weißt schon, was es  dir gegeben hat?
- Sag es noch einmal, Herr.
- Es hat das Geheimnis des Sakraments gegeben, allein durch den Glauben durch die Annahme meines Blutes und Leibes in der Kommunion, deine verlorene Gottheit wiederherstellen zu können.
Nach dem Willen des Vaters, die Wiedergeburt zur Unsterblichkeit geschieht nur durch den Glauben, nicht automatisch. Und das Glaubensobjekt bin ich und Mein Name. Wenn du an Mich glaubst, wirst du nicht sterben, d.h. du wirst zu gegebener Zeit auferstehen.
- Herr, warum an dich, den Sohn Gottes glauben. Klingt das, verzeih mir, nicht nach einem Personenkult?  Sollen wir nicht den Gott Vater anbeten?
- Wer nicht versteht, was Christus bedeutet - wie die Juden - denkt, wie du es sagte. Aber in Wirklichkeit  ist der Vater kein Objekt der Anbetung, wir verehren seine Heiligkeit, Weisheit, Güte, Liebe und anderes ewiges Gut, das das Wort Gott ausdrückt. Aber es ist alles in dir, wie die verkörperte Widerspiegelung des Vaters in Christus, der das ursprüngliche Vorbild für alle Brüder ist.
- Herr, vergib mir, aber die Menschen sterben auch nach der Vollendung deines lebensspendenden Opfers am Kreuz, das uns Unsterblichkeit schenkte.
- Dies entspricht auch dem Plan des Vaters oder der himmlischen Dreifaltigkeit, was ein und dasselbe ist.
- Wie ist es?
- Die Voraussetzung und sozusagen eine Eintrittskarte zum Königreich  ist der GLAUBE an das Unsichtbare, an die verheißene ewige Glückseligkeit, ein GLAUBE, der  durch
die Liebe zu mir und dem Nächsten – was dasselbe ist – bestätigt wird,  und durch das Streben nach Erfüllen meiner Gebote, was die Liebe zu mir beweist.  Und das alte, das verdorbene muss sterben. Es wird alles neu erschaffen. Ein Achter Ewiger Tag.
- Herr, ich habe viele Fragen an Dich, aber ich bin nicht allein und habe Angst,  zu viel deiner Zeit in Anspruch zu nehmen.
- Ich lebe nicht in Zeit und Raum. Ich kann gestern, morgen und heute gleichzeitig
mit allen reden, die mich suchen. Also frag. Aber ich warne dich, dass nicht alles gut für dich zu wissen ist.
- Warum Herr?
- Warum? Glaube  einfach meinem Wort. Oder du selbst solltest als potentieller Gott alles Wissen erreichen. Nur das erfordert viel geistiger Arbeit und meiner Unterstützung für diese Arbeit. Du kannst legitim und legal nur das wissen, was deinem geistigen Alter entspricht.
- Aber was bedeutet es, wiedergeboren zu werden, nachdem ich von Adam und Eva
geboren wurde?
- Adam und Eva gebären in den Tod. Das menschliche Geschlecht als Ganzes lebt weiter, aber jeder Einzelne stirbt. Die zweite Geburt gibt jedem Einzelnen persönlich wieder die verlorene  Unsterblichkeit zurück.
- Und wie passiert diese Geburt?
- Weißt du nicht? Durch das Sakrament der Taufe in Meinem Namen.
- Herr, wohin gehe ich nach dem Tod?
- Vater, ich und der Heilige Geist möchten, dass du ewig lebst. Aber du wurdest als freier Gott geschaffen. Ich kann dich dazu nicht bringen, meinen Geboten zu gehorchen, an meinem Blut teilzuhaben, mich und den Nächsten zu lieben und  Dinge  meines Widersachers nicht tun — meines Rivalen, Lügners und Mörders, den gefallenen Erzengel Luzifer oder einfacher den Teufel.
- Herr, ich habe Angst, dass ich es nicht schaffen werde, dir zu gefallen. Und ich zerstreue mich, sehe den Weg nicht, bin sehr faul und mein Herz ist durch Verrat meiner Mutter traumatisiert, die mich verlassen hat, und durch Vaterlosigkeit, Exil usw. Ebarme dich meiner, habe mit mir Mitleid und mit allen meinen Gebrechen und Schwächen.
- Menschen wie du haben nur einen Weg gerettet zu werden: Niemanden zu verurteilen, mit allen barmherzig und nachsichtig zu sein, mit allen so viel Frieden wie
möglich zu halten. Und gleichzeitig ständig mit gebrochenem Herzen deine Schwächen und Fehler büßen. Wahre Reue heißt eine Änderung des inneren Denkens in Übereinstimmung mit meinen Geboten. Und denk daran, wenn du jetzt in diesem Leben die Gnade des heiligen Geistes nicht greifbar erlebst, dann wirst du nach dem Tod in dem Zustand sein, in dem du gestorben bist. Und es wird  ersichtlich, dass dieser Zustand ein Zustand der Leere, der Missgunst, der Wut, der Unzufriedenheit, der Wollust usw. ist. Das ist die Hölle. Meine Mutter heilige immerwährende Jungfrau Maria und die Kirche, wer ihr gehörte, sie beten für solche Menschen, um ihr Leid zu erleichtern.
- Herr, ich habe Angst. Erbarme dich meiner, sei mir gnädig. Schließlich bin ich selbstgefällig, so genannter gefallener „Gott“, dabei kann ohne dich nichts tun. Verlass mich bitte nicht, lass mich dich unter Tränen jeden Augenblick anflehen.
Warum antwortest du nicht?  Wo bist du?!
Christus ist gegangen. Er wies Pheodor auf die Aufgabe hin, sich um göttliche Gnade des heiligen Geistes mit allen Mitteln zu bemühen. Die Gnade des Heiligen Geistes sollte der Sinn und das Ziel seines restlichen Lebens sein.


III. Die außergewöhnlichen Wunder, die Pheodor nach der Christi Erscheinung  erlebte.

Pheodor wurde von Kindheit an herkömmlich von seiner Großmutter und heimlich von der Mutter einer Kommunistin getauft. Aber seine Großmutter starb bald, und Pheodors Mutter, die ständig mit Parteiangelegenheiten beschäftigt war, schickte ihn durch Parteibeziehungen  in ein Waisenhaus.  In diesem Waisenhaus wurde neben den üblichen Schulfächern auch Musik unterrichtet, allerdings nur auf Blasinstrumenten. Die Gehör- und Musikalitätsprüfung hat er problemlos bestanden. Außerdem spielte er mehrere sowjetische Lieder auf einem von seiner Großmutter gestifteten Akkordeon. Ein strenger Onkel in Militäruniform (alle Musiklehrer waren pensionierte Militärs von Armee-Blaskapellen) sagte zu Pheodor, deine Arme sind lang, du wirst Posaune spielen. Allerdings wäre Pheodor  lieber eine Klarinette oder Flöte zu wählen. Aber er wagte es nicht, der "Uniform" zu widersprechen.
Aber zurück zu den Wundern. Nach dem Erscheinen Christi fühlte sich der kirchenferne Pheodor, der in einem atheistischen Staat lebte und aufwuchs, stark zur Kirche hingezogen. Aber es hat ihm dort weiß  Gott nicht gefallen. Düstere Atmosphäre, muffige Luft von Weihrauch und Kerzen. Und vor allem wurde er ständig von "bösen" Babuschkas in  den Rücken gestochen, mit dem er mit seiner Größe das "religiöse Spektakel“ vor der Bilderwand blockierte. Mit so einem befremdeten und  kritischen Blick sah Pheodor, was auf dem Kliros ablief. Nachdem er ein wenig gezögert und verzweifelt versucht hatte, etwas aus dem Kirchenslawischen zu verstehen, beschloss er, an die frische Luft zu gehen. Konnte aber nicht. Seine Beine klebten an der Stelle und es war, als würde ihn jemand wie ein Kätzchen am Kragen festhalten: „Bleib stehen bis zum Ende“. Und er musste stehen. Pheodor verstand nichts von dem, was geschah, und fühlte sich dennoch erleichtert, als alle am Ende des Gottesdienstes ans Kreuzküßen gingen. Seine Beine fielen ab und er wandte sich dem Ausgang zu, aber eine unsichtbare Kraft begann ihn zum Altar zu schubsen, wo der Priester mit dem Kreuz stand. Die Gläubigen küssten das Kreuz und die Hand des Priesters. Pheodor beschloss, ihm nicht die Hand zu küssen. Als er sich dem Priester näherte und ihm ins Gesicht sah, sah er gleichsam wieder den Lehrer, der ihm in damaliger Vision erschienen war. Der Priester sah ihn mit Liebe und Herzlichkeit an. Zögernd nahm er ihn sanft am Kopf und legte ein Kreuz an seine Lippen. Und hob die Hand zum Kuss. Pheodor küsste sie glücklich. Gott segne dich, sagte der Priester und bekreuzte ihn mit dem goldglänzenden Kreuz. Und Pheodor schien in den Himmel zu schweben. Es war ein klares und erstaunliches Gefühl der Schwerelosigkeit. Aber von hinten bekam er  wieder Tritte. Auch die Babuschkas in der Schlange wollten ans Kreuz. Aber jetzt verließ  Pheodor leicht die Kirche. Freude erfüllte ihn. Und so fing er an, ständig Gottesdienste zu besuchen. Jedes Mal verstand er mehr und mehr die Kirchensprache und die Bedeutung dessen, was auf dem Kliros und im Altar geschah. Schließlich offenbarte sich ihm die getarnte Schönheit der orthodoxen Anbetung und ihre mystische Weltentrücktheit. Sie öffneten seine Augen parallel zur Welt und den Ereignissen darin. Jetzt konnte er in den Medien Lügen von Wahrheiten klar unterscheiden und die politischen Absichten der Gegner Russlands (damals UdSSR) verstehen. Eine weitere Gabe des Heiligen Geistes erlaubte ihm, die Menschen durch und durch zu sehen. Er sah, wie sie ihn unter dem Deckmantel süßer Reden belogen. Und es war besonders schmerzlich, wenn es von Leuten entsprang, die er als Freunde betrachtete. Nachdem er einige Zeit unter der Enttäuschung von Menschen gelitten hatte, bat er Gott, ihm diese Fähigkeit zu nehmen. Und sie ist wirklich verschwunden. Viele möchten diese Fähigkeit haben. Aber es ist sehr schmerzhaft, von Menschen enttäuscht zu sein. Menschen träumen oft neidisch von etwas, das ihnen angeblich Glück bringt. Und nachdem sie dies erhalten haben, tappen sie in eine andere, oft noch schlimmere Falle. Deshalb sagt Christus, suche zuerst das Himmelreich, und alles andere (irdische) wird dir hinzugefügt.
Es ist unentbehrlich, von einem besonders interessanten und wunderbaren Vorfall zu erzählen, den Pheodor erlebt hat. Er hatte einen befreundeten Pianisten. Und oft hörten sie gemeinsam klassische Musik auf seinem exzellenten Equipment. Beim nächsten Treffen erzählte ihm der Freund, dass in zwei Stunden ein Konzert des herausragenden amerikanischen Pianisten Van Cliburn am Moskauer Konservatorium beginnen würde. Aber die Tickets, heißt es, seien bereits ausverkauft. Man könnte versuchen, unter der Hand zu kaufen, aber es gibt wenig Hoffnung. Pheodor hat seinen Freund überredet, doch aufs Konservatorium zu gehen, vielleicht klappt das. Als sie näher kamen, sahen sie eine riesige Menschenmenge vor eigens für diesen Anlass aufgestellten Metallbarrieren stehen. Die Miliz war überall. Und ein Teil von ihr war sogar zu Pferd. Allseits war die Aufregung maßlos. Das Gesicht des Freundes wurde sauer. Er hat alle Hoffnung verloren. Pheodor zerrte ihn zum Gang, wo die Polizisten standen, die die Leute mit Eintrittskarten durchließen, und sagte zu seinem Freund, lass uns auch gehen. Was bist du verrückt? Sagte Freund. Sieh, es gibt mehrere Absperrungen, und am Ende, am Eingang zum Konzertsaal, gibt es Controller. Es ist hoffnungslos. Nun, wirst du gehen oder nicht? Fragte Pheodor. Eine riesige Menschenmenge bewegte sich herum und drückte auf sie. Jemand rief verzweifelt: Gibt es eine Freikarte?! Auf Pheodors Frage schüttelte sein Freund den Kopf. Nun, ich gehe allein, sagte Pheodor. Der Freund sah Pheodor an, als sei er verrückt. Dann ging Pheodor durch die Menge zum Gang, drehte sich ständig zu seinem Freund um und rief ihm mit Gesten zu, ihm zu folgen. Aber er war wie gelähmt. Auf dem Gang sahen die Milizionäre friedlich und wie distanziert und sahen wie klein verlegen  Pheodor  an und  machten keine einzige Bewegung, als er an ihnen vorbeiging. Pheodor erreichte auch die Tanten-Kontrolleure, und sie ließen ihn ohne Regung passieren. Pheodor stieg allein die schöne breite Marmortreppe hinauf, die mit einem teuren Teppich geschmückt war. Der Saal war bereits mit Menschen vollgefüllt. Es herrschte die Atmosphäre einer glücklichen und erhabenen Erwartung des „Ereignisses des Jahres“. Pheodor ging ein wenig vorwärts und blieb zwischen den Reihen stehen, um herauszufinden, wo er sich niederlassen sollte. Zu seiner Rechten, am Rand der Reihe, sah er einen einzigen freien Platz und beschloss, ihn vorerst einzunehmen. Falls ein verspäteter Besitzer  kommt, wird er den Platz freilassen. Aber niemand kam! Also hörte er sich das ganze Konzert an.
Am nächsten Tag fragte ihn sein Freund, der Pheodor ein wenig besorgt ansah, wie einen Außerirdischen, wie er das gemacht hat. Pheodor streckte seinen Finger in den Himmel und sagte: Er hat es getan.

IV. Die neuen Lebensereignisse Pheodors

Genau eine Woche nach dem Erscheinen Christi, zur gleichen Zeit, nachts und auch in körperlicher Form, erschien Pheodor Maitreya, wie er ihn später anhand der Bilder identifizieren konnte. Er ist angeblich eine Inkarnation des Buddha in den letzten Zeiten unseres Äons. Eine Art buddhistischer Messias. Er saß  in Lotusposition und winkte Pheodor anlockend zu, ihm bei seiner Lehre zu folgen. Er war gekleidet wie auf buddhistischen Bildern. Aber im Gegensatz dazu war er sehr schlank, mit hellbrauner, glänzender Haut, behangen mit allen möglichen goldenen Amuletten. Pheodor spürte die süße verlockende Energie, die von ihm ausging. Und es sah aus wie ein Wettbewerb mit Christus: Komm zu mir, bei mir ist besser. Aber plötzlich begann diese Energie schnell zu schmelzen. Und Maitreya selbst begann flugs an Größe zu verlieren, bis er sich in eine Schlange verwandelte und flink ins Gras kroch. Und die Vision war weg. Pheodor wurde klar, dass der Teufel versuchte, ihn zu verführen und von Christus wegzuführen. Aber aus irgendeinem Grund war dieser Plan schändlicherweise gescheitert. Auf die Dauer der Widersacher konnte sich nicht verstellen.
Einmal kam zu Pheodor ein Bekannter, den er in der Kirche kennenlernte. Er war ein bisschen seltsam. Vielleicht sogar mit manchen psychischen Störungen aufgrund einer verzerrten religiösen Wahrnehmung. Jemand hätte ihn vielleicht sogar zu den Besessenen gezählt. Obwohl er selbst alle möglichen Mittel suchte, um sich vor Dämonen und deren Einfluss zu schützen. Bei ihm zu Hause wurden die Wände mit originellen Konstruktionen aus verschiedenen Drähten behängt, die an minimalistische Kunst erinnerten. Aber für ihn war es ein Schutz gegen Dämonen, wie er erklärte. Trotz seiner Kuriositäten hatte er einflussreiche Bekanntschaften unter dem Klerus und den Mönchen. Und er lud Pheodor ein, mit ihm in das älteste Kloster an der Grenze zu Estland zu gehen. Er sprach mit dem Abt des Klosters und der erlaubte Pheodor, im Kloster zu bleiben und an seinem vielfältigen  Leben teilzunehmen. Pheodor erhielt die Aufgabe, den Kuhstall sauber zu halten und die Bewohner des Klosters während des Essens zu bedienen. Außerdem musste er den Gottesdienst in der Kirche besuchen, der insgesamt acht Stunden am Tag dauerte. Vier Stunden stand er bei der Liturgie, die morgens um sechs begann. Danach zwei Stunden Ruhe. Dann Gehorsamsübung in der Scheune. Dann der Dienst in der Mensa. Am Ende der Mahlzeit aß  er selbst. Dann zwei Stunden frei, aber doch gemeint ungezwungen Zellengebet und Schriftlesung.  Um fünf Uhr abends Abendgottesdienst. Mit nachfolgendem Abendessen um acht. Nach dem Abendessen ein brüderliches Vesper mit persönlichem Segen am Ende  jeden Einzelnen vom Abt des Klosters. Und um neun Uhr Schlafengehen. Um vier Uhr morgens der Gang zum brüderlichen Morgengebet. Und so jeden Tag. In den ersten Tagen konnte Pheodor diesen harten Ablauf kaum ertragen. Vor allem vier Stunden auf den Beinen im Gottesdienst brachten ihn fast in Ohnmacht. Aber schon am dritten Tag spürte er seine Beine nicht, eine besondere Anmut überfiel ihn, und er schien sich darin aufzulösen. Er fühlte sich so gut, dass er nicht wollte, dass der Gottesdienst endete. Der klösterliche Chor sang rein, in einem vereinigten Klang und Geist, strahlte eine besondere orthodoxe Kraft aus, verschmilzt  sich mit dem göttlichen Himmel, und nährte sich aus ihm wie aus einer spirituellen Quelle. Es war einfach der Himmel auf Erden.
Im Kloster traf Pheodor  den gnadenerfüllten Starez  Adrian und bat ihn um eine persönliche Beichte. Der Starez befahl ihm, vor der Beichte drei Tage lang nichts zu essen, außer einer Prosphora (orthodoxe Hostie) pro Tag. Drei Tage später, um fünf Uhr morgens, ging Pheodor zum vereinbarten Ort, einem Tempel, der sich etwas abseits der Hauptgebäude auf einer Hügel befand. Man musste auf einem Pfad zu ihm aufzusteigen, der sich wie eine Serpentine verlief. Auf dem Terrain des Klosters herrschte ein besonderer Geist. Und an diesem Ort, den Weg zum Tempel hinaufsteigend, kam es Pheodor vor, als würde er im Paradies zum Himmel emporrücken. Und dann erschien der Tempel. Gott, wie schön er war! Er  strahlte weiss überirdische Energie aus. Beim Betreten versank Pheodor in einen magischen Traum. Der Tempel war leer. Auf goldenen Leuchtern brannten Kerzen. Der ganze Tempel erstrahlte wie das himmlische Jerusalem aus der Offenbarung des Apostels Johannes. Pheodor erkannte einen  Beichtpult und eine lange und dicke Wachskerze, die auf einem separaten Leuchter neben dem Beichtpult stand. Später nach einem ewigen Bekenntnis sah er sie in zwei Hälften verbrannt und verstand dann die Bedeutung ihrer ungewöhnlichen Größe. Dies war eine besondere Lebensbeichte. Pheodor hat so etwas nie wieder erlebt. Nun waren leichte Schritte zu hören. Es war Vater Adrian, schwächlich im Fleisch, der ein wenig gebückt auf Beichtpult zuging. Pheodor kniete nieder, der Starez las das Eingangsgebet vor und die Beichte begann. Wie könnte man es beschreiben? Vielleicht wäre möglich es mit einem türkischen Bad zu vergleichen, in dem jeder Finger von dem Kunden, jede Stelle seines Körpers gründlich gereinigt und gewaschen wird. Ebenso wurde die Seele von Pheodor in all ihren Ecken und Winkeln von einem heiligen alten Mann ausgekratzt, der eine besondere Kunst der Reinigung von Sünden besaß . Während dieses Prozesses flossen Pheodors Tränen in einem ununterbrochenen Strom. Er fühlte körperlich, wie sie all den angesammelten, dem äußeren Auge unsichtbaren, seelischen Schmutz wegspülten. Mit zunehmender Erleichterung wurde er in den Himmel getragen und weinte von der auf ihn herabgestürzten Glückseligkeit noch intensiver.

                ***
Nach diesem Ehrfurcht gebietenden Erlebnis (der Beichte) kam Pheodor einmal zum Starez Adrian, um geistlichen Rat zu holen, aber er hatte bereits einen Besucher in seiner Zelle. Vater Adrian sagte Pheodor, er solle warten und zeigte auf einen Stuhl in der Ecke einer bescheidenen Zelle. Dort gab es auch eine Bettbank, einen kleinen Nachttisch in der rechten Ecke, auf dem das Evangelium und die Christusikone darüber auf einem Ständer an der Wand lagen. Das war alles. Pheodor wurde Zeuge einer ungewöhnlichen Geschichte, die dem Besucher von Vater Adrian passierte. Es ging um Hexerei. Der Besucher mit Namen Mikhail ging vor einigen Jahren nach Sibirien, um Geld zu verdienen. Dort wurde aufgrund des rauen Klimas eine anständige Prämie gezahlt. In einer kleinen Siedlung, in der er einen Job bekam, traf er als kräftiger junger, gutaussehender Mann ein einheimisches Mädchen namens Oksana. Sie war stattlich und schön, Haut mit Blut und Milch. Ihr ganzes Wesen strahlte Gesundheit und Vitalität aus. Nachdem er nach einigen Jahren einen anständigen Betrag verdient hatte, sagte Mikhail seiner Freundin, dass er dorthin zurückkehren müsse, wo er herkam. Oksana war wütend über diese Nachricht. In Anbetracht dessen, dass er sie benutzte, ihre Jugend und Schönheit genoss, und jetzt soll sie von der konservativen Umgebung verspottet werden. Aber Mikhail bestand darauf. Es gab einen heftigen Streit, bei dem Mikhail sogar die Hand auf Mädchen erhob. Oksana war gleich still geworden. Und  sagte mit lebloser Stimme, er solle morgen zu ihr kommen, sie arrangiere einen Abschiedsabend.  Auf  der Abschiedsparty  war auch  eine Oksanas Freundin anwesend. Auf dem Tisch standen einfache Speisen und ein großer bauchiger Kelch mit einem dunklen Trank. Das verflüchtigte Mädchen nahm den Kelch und bewegte sich mit sanften Fuchsschritten auf den Verräter zu, sah ihm liebevoll in die Augen, hob den Kelch an Mikhails Lippen und sagte, trink dies zum Andenken an unsere Liebe. Er trank die Hälfte aus ihrer Hände. Nimm du jetzt den Kelch, sagte er, und trink den Rest. Aber Oksana sagte nein, es ist nur dir zu Ehren. Am nächsten Tag packte Mikhail seine Koffer und wollte sie auf ein im Hof geparktes Auto laden, das er von seiner Arbeit geliehen hatte. Aber seine Beine und sein ganzer Körper gehorchten nicht. Er konnte das Gelände nicht verlassen. Vielmehr konnte er den Ort überhaupt nicht verlassen. Eine abgründige Kraft hielt ihn zurück. Mit großer Mühe kam er zu  Kumpanin seiner Geliebten, die auf der Abschiedsparty war. Und sie verriet ihm, dass Oksana ihm einen Zaubertrank gemixt hatte, der ihn hält. Hier kommt in den Sinn die Erzählung "Olesya" von Kuprin, über eine junge Hexe. In den Tiefen Russlands leben noch heidnische magische überbleibsel. Kenntnisse über allerlei Zauberkunst und Beschwörungen, spezielle Hexenkräuter. Mikhail kam zu Oksana und verlangte, dass sie ihn gehen ließ. Es gab einen weiteren Streit. Und diesmal verprügelte Mikhail Oksana heftig. Wenn du mich nicht loslässt, werde ich dich fertig machen, drohte er ihr. Okay, sagte Oksana, komm morgen, ich lass dich gehen. Am nächsten Tag gab sie ihm wieder ein Glas einer öligen Flüssigkeit und sagte, trink das und du bist frei. Tatsächlich konnte er schon am nächsten Tag Sachen verladen und dieses Hexengebiet verlassen. Darüber war er über alle Maßen froh. Er hat eine Menge Geld verdient und jetzt beginnt das richtige Leben. Aber nach einer Weile fühlte er auf seiner Brust eine Art unsichtbares schweres Tier. Das von einer Seite auf die andere rollte. Depressionen überkamen ihn, er verlor die Lebensfreude. Er begann, Gewicht zu verlieren, seine Haare begannen auszufallen. Von einem beneidenswert gutaussehenden Mann begann er sich immer mehr in einen kranken Freak zu verwandeln. Damit kam er zu Vater Adrian. Weil der Starez den Ruhm hatte, Macht über böse Geister zu haben. Er hat Dämonen ausgetrieben. Die atheistischen Behörden der UdSSR verboten ihm dies zunächst, aber angesichts des Zustroms vieler Leidender aus dem ganzen Land zu ihm, um Unruhen zu vermeiden, erlaubten sie ihm, seine Sitzungen nur einmal pro Woche abzuhalten. Obwohl es für den Erfolg mindestens dreimal hintereinander notwendig war, wie Vater Adrian behauptete. Mit großer Liebe und Mitgefühl für Michael versprach er, ihm zu helfen, verlangte aber von ihm Kooperation - ständiges Gebet und Fasten und weiteres Leben nach den Geboten Christi.  Zumindest es zu versuchen.  Väterchen Adrian bemerkte hinzu,  viele Menschen  erkennen es nicht, dass ein Dämon in ihnen lebt.
Im Kloster gab es im Auftrag der weltlichen Obrigkeit Exkursionen weltlicher Schaulustiger. Weit weg von dem Glauben huschten diese Leute mit Kameras im Kloster umher, schauten in die Zellen und brachen das Zellengebet. Vielleicht war dies der Sinn dieser Exkursionen - die klösterliche Askese zu stören. Vater Adrian sagte, dass einmal eine Frau von einer solchen Exkursion in die Kirche geschaut habe, wo er Exorzismus durchführte und besondere Gebete vortrug. Und diese Frau krähte plötzlich wie ein Hahn. So wurde sie seine Patientin und glaubte an Gott. Und du, Mischalein, kommst am Mittwoch zur Kirche des Heiligen Nikolaus des Wundertäters. Und iss an diesem Tag nichts. Trinke nur Weihwasser, wandte sich der Priester an Michael. Pheodor fragte Vater Adrian, ob ein Dämon in ihm etwa stecke. Vater Adrian fixierte Pheodor mit einem aufmerksamen durchdringenden Blick, dann entspannte sich und sagte mit sanfter Stimme, nein, in dir ist nichts. Und kann ich auch zur Exorzismus-Session kommen, fragte Pheodor. Komm, sagte Starez.
Am Mittwoch betrat Pheodor zur festgesetzten Zeit die Kirche und sah im halbdunklen Raum eine kleine Gruppe von Gläubigen, hauptsächlich Frauen, ruhig im hinteren Teil der Kirche stehen und auf Vater Adrian warten. Schließlich kam er gebückt aus einer Seitentür und ging in bescheidenen kleinen Schritten auf die Kanzel zu. Nachdem er die Einführungsgebete gelesen hatte, begann er gegen unreine Geister zu beten. Ach, was hat hier angefangen! Aus einer scheinbar normalen Menschengruppe wurde eine donnernde Tiergehege. Eine Frau fing an zu grunzen wie ein Schwein. Eine andere wedelte mit den Armen wie mit Flügeln und gackerte wie ein Huhn. Die dritte schrie mit hoher, quietschender  Stimme aus ihrem Unterleib heraus: Adrian, Adrian, warum quälst du uns vorzeitig, die Zeit ist noch nicht gekommen. Pheodor fühlte sich unwohl. Er hatte wirklich Angst, dass all diese unreinen Geister über ihn springen würden. Aber er verließ die Kirche trotzdem nicht, da er vor dem Priester nicht wie ein Feigling erscheinen wollte.
Die meisten Menschen in der materiellen Welt sind sich der unsichtbaren Welt voller Engel und Dämonen nicht einmal bewusst. Mit ihren Sünden ziehen weltliche Menschen unsichtbare Dämonen an sich und vertreiben ihre Schutzengel von sich. Und Asketen in Klöstern umgeben sich mit hellen Geistern. Pheodor spürte dies sofort, während er die Schwelle des Klosters überquerte, als er dort auf den Ruf seines seltsamen Bekannten eintraf. Dort herrschte eine ganz andere Atmosphäre als auf der Welt. Es waren die besten Tage seines Lebens, die er im Kloster verbrachte. Später, als er das graue Alter erreichte und gefragt wurde, wie alt er sei, antwortete er, einen Monat und drei Tage. Die Leute dachten, er sei nicht er selbst oder verfiel in die Kindheit und den senilen Marasmus. So viel Zeit, einen Monat und drei Tage, verbrachte er im Kloster. Und der Rest seines Lebens schien ein leerer Traum zu sein, eine umsonst vergeudete Zeit. Nun muss er das Kloster  verlassen und nach Moskau zurückkehren. Nach dem Abendgottesdienst wandte sich Pheodor an Vater Adrian, damit er ihm auf den Weg Segnen spende. Vater Adrian hüllte ihn mit einem strengen und konzentrierten Blick ein und bekreuzte ihn schwungvoll. Und Pheodor begann zu levitieren. So eine geistige Kraft besaß dieser alte Mann, schwach im Fleisch, der nur einmal in der Woche etwas schwarzes Brot aß. Am Ausgang der Kirche gesellte sich ein unbekannter Pilger zu Pheodor und sagte, nachdem er von Pheodor erfahren hatte, dass er nach Moskau fahren würde, dass er auch dorthin muss, und dass Pheodor mit einem Geleit auf dem Weg mehr Spaß haben würde. Aber das ist eine andere, leider traurige Geschichte.

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                Pheodor wollte das warmherzige Kloster eigentlich nicht verlassen, aber er war  als Chorleiter in seiner Kirche verpflichtet. Er bat ein Mitglied des Chores, ihn zu vertreten, während er im Kloster war. Er gewann dieses Amt in der Kirche auf wundersame Weise. Es gefiel ihm, es war gut in der Kirche. Vater Alexei, ein hellsichtiger Starez, liebte ihn und sagte, er könnte ein guter Priester sein. Wahrscheinlich, weil die Gläubigen in der Kirche, als er  Vaterunser vor ihnen dirigierte, ihm gehorchten und einmütig und harmonisch sangen. Pheodor erinnerte sich daran, wie er sich quälte,  eine geeignete Arbeit zu finden, nachdem er seinen Job bei einer Restaurantshow gekündigt hatte, bei der er Posaune spielte. Nach der Christi Erscheinung wurde ihm die Restaurantatmosphäre mit ihrer heimlichen Ausschweifung und dem vertrödelnden Leben in Begierden immer fremder. Neue Freunde in der Kirche, die er jetzt ständig besuchte, rieten ihm, in die Kirche in der Nähe des Kiewer Bahnhofs zu gehen und dort zu Hl. Tryphon zu beten. Es wurde angenommen, dass diese wundersame Ikone bei der Arbeitssuche hilft. Dies schien Pheodor dennoch eine pseudochristliche Abweichung zu sein, und er zögerte. Aber als ihm das dritte Mal das Gleiche gesagt wurde, beschloss er, es trotzdem zu versuchen. Er kam zu Kirche an, als sie bereits geschlossen war. Vor dem Eingang fegte eine gottesfürchtige Zugehfrau die Treppe. Als sie Pheodor sah, fragte sie liebevoll: Kommst du zum Hl. Tryphon? Pheodor  nickte mit dem Kopf. Die Kirche ist schon geschlossen, die Gottesdienste sind vorbei, ich öffne sie für dich, sagte die Frau freundlich. Pheodor nahm dies als gutes Zeichen. Als er die halbdunkle Kirche betrat, ging er intuitiv sofort zu der großen Ikone links. Er irrte sich nicht, das war Hl. Tryphon. Später erfuhr Pheodor, dass Hl. Tryphon während der Herrschaft des Kaisers Decius Trajan für den Glauben litt. Pheodor fiel auf die Knie und bat den Heiligen Märtyrer dreimal, ihm bei einer für einen Christen geeigneten Aufgabe zu helfen. Danach hat er diesen Kirchenbesuch irgendwie vergessen. Wahrscheinlich war er vom Erfolg nicht sehr überzeugt. Aber genau zwei Wochen später, während der Liturgie, drängte sich durch die Gläubigen-Masse eine Frau zu ihm und sagte mit halber Stimme, er solle im Chor dieser Kirche singen. Nach dem Gottesdienst muss er zu Vater Alexei gehen und alles mit ihm regeln. Pheodor staunte und schämte sich seiner Zweifel. Jetzt fühlte er sich plötzlich in einem überirdischen Raum, im Reich Christi, das nicht von dieser Welt ist. Hier gelten andere Gesetze. Glaube, Hoffnung und Liebe regieren hier.
Später wurde er zum Chorleiter ernannt. Und nun musste er aus dem  Kloster zu seinen Pflichten zurückkehren. Die Zugfahrt nach Moskau dauerte drei Stunden. Der Pilger, der ihm sich anhängte, begann sofort, Pheodor unterwegs von seiner Ikonensammlung zu erzählen. Und dann fragte er, welche Ikonen Pheodor habe. Pheodor hatte wundervolle alte aus dem 18. Jahrhundert Ikonen. Und eine sogar aus dem 17. Jahrhundert. Sie waren sehr wertvoll. Ausländer jagten nach solchen Ikonen. In einem atheistischen Staat konnte man sie für etwa 120 Rubel pro Stück privat kaufen. Das war das Monatsgehalt eines Ingenieurs. Im Westen wurden sie für tausend Mark oder Dollar verkauft. Nachdem der Pilger alles über die Ikonen von Pheodor erfahren hatte, wurde er irgendwie ulkig und schleimig höflich. Es wäre interessant für ihn, sich diese Ikonen anzuschauen, sagte er. Er fragte nach der Adresse von Pheodor, und nachdem er sich über allerlei kirchliche Gerüchte unterhalten hatte, sagte er, er sei ein wenig müde und würde gerne die restliche Zeit vor Moskau schlafen. Auch Pheodor lehnte den Kopf gegen das Abteilfenster und begann zu beten. Bis er auch eingeschlafen war. Am Bahnhof trennte er sich von dem Pilger. Es regnete stark. Und Pheodor rannte in die U-Bahn. Zu Hause fing er an, etwas für das Abendessen einzusammeln und plötzlich klingelte es. Pheodor fühlte sich irgendwie unwohl. Widerstrebend ging er zur Tür. Er warf eine Sicherheits-Kette auf die Tür, öffnete sie und sah den Pilger. Er stand ganz nass da und zitterte vor Kälte. Sein Freund, zu dem er kam, sei unerwartet weg, sagte er.  Dürfte er bei Pheodor  zumindest ein wenig trocknen? — Fragte er. Pheodor hielt es wie alle eifrigen Novizen für nicht christlich, einen Nächsten unter heiklen Umständen abzulehnen. Er fühlte sich krank in seiner Seele, den Pilger ließ er trotzdem rein. Er goss ihm heißen Tee ein und gab ihm trockene Kleidung. Aber der Gast wollte zuerst duschen. Nach dem Duschen setzte er sich in Pheodors Frottee-Bademantel an den Tisch. Er warf einen kurzen Blick allseitig in Pheodors kleinem Zimmer und fuhr fort zu essen. Er werde sich die Ikonen später genau ansehen, sagte er. Es war bereits gegen zwölf Uhr abends. Auch hier war es Pheodor  aus pseudochristlichen Erwägungen peinlich, den Gast zu fragen, wie lange er bleiben würde. Es war offensichtlich, dass Eindringling nicht gehen möchte. Auf der Straße regnete es in Strömen. Pheodor  hatte keine andere Wahl, als ihm anzubieten, zu bleiben, und er stimmte gerne zu. Pheodor  gab ihm seine Ottomane und machte sich auf dem Boden ein Bett. Der Pilger ging sofort zu Bett, und Pheodor  fragte ihn, ob ihn das Abendgebet, das Pheodor  keineswegs auslassen möchte, nicht stören würde. Nein, es wird ihn nicht stören, erwiderte der Gast. Pheodor  hatte einen angespannten inneren Zustand, als ob etwas Fremdes, Magisches und gleichzeitig Abstoßendes in seinem Lebensraum Wurzeln geschlagen hätte. Er begann absichtlich laut zu beten. Zuerst  Vaterunser und dann frei: Herr, vergib mir, dass ich alle möglichen unliebsamen Gedanken über meinen Nächsten habe. Als Pheodor es sagte, hörte er das scharfe Knarren von Federn der Ottomane.  Pheodor sah sich um, der Pilger saß mit den Füßen auf dem Boden auf der Couch, als wollte er rennen. Er erstarrte in dieser Position, als ob er irgendwelche feindselige Aktionen von Pheodor erwartete. Man sah  Angst in seinen Augen, vermischt mit der Anspannung eines Tieres, das  zur Flucht bereit war.  Die Blicke der beiden  kollidierten. Und Pheodor wurde klar, dass sich ein Krimineller in sein Haus eingeschlichen hatte. Und dem Gast — dass er enttarnt war. Der Höhepunkt der Situation erstarrte für einen Moment in der Luft. Aber Pheodor löste  den aus irgendeinem unerklärlichen Grund sofort ab, in dem er das Gebet laut fortsetzte: Herr, meine Gedanken beziehen sich nicht auf meinen Gast, über den ich mich freue. Er ist mein Bruder im Glauben. Segne ihn! Und wieder gab es ein springendes Knarren von Federn der Ottomane. Pheodor drehte schnell den Kopf und sah, dass der Pilger sich beruhigt hatte, legte sich wieder  hin, drehte sich zur Wand  und zog die Decke über seinen Kopf. Am Morgen stand Pheodor vorsichtig auf. Nachdem er sich gewaschen und angezogen hatte, wünschte er dem Pilger einladend einen guten Morgen. Als Antwort murmelte er etwas. Pheodor fragte ihn, ob er mit ihm in die Kirche gehen wolle. Dort wartet  auf ihn der Chor. Aber der Pilger murmelte, dass er gerne mehr schlafen würde. Und wenn Pheodor zurückkehrt, wird er von einem fertigen Mittagessen begrüßt, das er nach dem Einkauf der notwendigen Produkte sorgfältig für Pheodor zubereiten wird. Als Dank für Pheodors Gastfreundschaft. Pheodor sah sich traurig im Raum um, die Ikonen an den Wänden waren ihm sehr am Herzen, und ihm wurde bewusst, dass er sie zum letzten Mal sah. Nachdem er sich vom Gast verabschiedet hatte, ging er in die Kirche. Schweren Herzens ging er vom Dienst nach Hause. Krähen kreisten über dem Haus und erfüllten die Luft mit einem widerlichen Krächzen, als ob sie sich über Pheodor lustig machten. Als er das Zimmer betrat, sah er leere Wände. Und sein Herz ging hin. Er lebte in einer Kommunalwohnung. Er klopfte an seine Nachbarin, die mit einer geschiedenen Tochter und ihrem kleinen Sohn zusammenlebte. Sie sprang sofort heraus, erstarrte in der Tür und sah Pheodor fragend an, ohne zu blinzeln. — Und wo ist mein Gast, fragte Theodore sie. — Ich weiß es nicht, sagte sie unbehaglich und vorwurfsvoll. — Er hat mich um eine große Tasche gebeten, um Ihnen alle möglichen Lebensmittel zu kaufen und ein Festessen zuzubereiten,  so sagte er. Ich habe ihm unsere neue Ledertasche gegeben, fuhr die Nachbarin mit einem betonten Vorwurf fort. Was,  ist er noch nicht gekommen? Fragte sie. — Er hat meine Wohnung ausgeraubt und mir meine unbezahlbaren Ikonen weggenommen, klagte Pheodor.  —O du, lieber Gott! Er kam mir sofort misstrauisch vor. Aber er ist Ihr Gast. Ich habe ihm geglaubt. Was ist jetzt mit meiner neuen Tasche? — Ich werde Ihnen dafür bezahlen, sagte Pheodor. — Sie müssen sich bei der Miliz  melden, sagte die Nachbarin und ging in ihr Zimmer. Aber Pheodor wollte sich nicht auf die Miliz des atheistischen Staates einlassen. Schließlich ging es um Ikonen. Und die Miliz wird wegen der „nutzlosen Holzstücke“ wohl kaum nach einem Dieb suchen. Pheodor erinnerte sich, dass er diese Ikonen nicht ganz sauber erworben hatte, da er sie von ungläubigen jungen Leuten gekauft hatte, die sie ihren gläubigen Großmüttern hätten gestohlen haben können. Im Allgemeinen ist es für die Orthodoxen nicht üblich, Ikonen für Geld zu kaufen oder zu verkaufen. Judas verkaufte eine lebende Ikone – Christus – für Silberstücke. Pheodor fühlte sich ein wenig besser. Er verband all diese Ereignisse und auch, dass er dem falschen Pilger gegenüber tolerant war, in dem er seine verbrecherische Pläne als Gottes Vorsehung erkannte. Als eine Art Berichtigung seiner ungerechten Tat in Bezug auf Ikonen.

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In der Kirche, in der Pheodor Chor leitete, diente ein Altarhelfer, dessen anthropologisches Personenbild Pheodor sehr anzog. Sein Name war Konstantin. Er war sehr besonnen, immer freundlich, in sich gekehrt  Er hörte dem Gesprächspartner mit großer unverstellter Aufmerksamkeit zu, ohne ihn zu unterbrechen, ohne zu räsonieren oder mit Gerede zu übertreiben. Er gab nur auf Bitten des Gesprächspartners Ratschläge mit großer Demut. Als  Pheodor ihn beobachtete und in sich heimlich  ihn lieb gewann, fragte er ihn einmal, warum er nicht zum Priesterseminar ging. Konstantin sagte wie befangen er habe es schon fertig. Warum wird er nicht zum Priester geweiht? Fragte Pheodor weiter. — Ich habe viel gesündigt, sagte Konstantin leise. Ich habe meiner Mutter viel Kummer bereitet, nach einer kurzen Pause fügte er traurig hinzu. Pheodor deutete Konstantin an, dass er gerne Details hätte, wenn möglich. — Siehst du, fuhr Konstantin fort, ich war ein bitterer Trinker. Ich habe nicht an Gott geglaubt. Meine tiefreligiöse Mutter litt sehr darunter. Sie weinte nachts und betete für mich. — Und wie bist Du zum Glauben gekommen, zur Kirche?  Fragte Pheodor.
— Meine Mutter und ich lebten in der Provinz in einem kleinen, armen Dorf, wo die Straßen kaputt waren, voller tiefer Löcher. Wo es keine Straßenlaternen und überhaupt keine Zivilisation gab. Eines späten Abends machte ich mich, wieder betrunken, in der tiefen Dunkelheit auf dem Heimweg und fiel in ein tiefes Loch voller Wasser. Es hatte die ganze Woche zuvor endlos geregnet. Ich begann zu ertrinken. Eine Todesangst packte mich. Ich klammerte mich an die rutschigen Ränder der Grube, aber ich konnte nicht herauskommen. Mir wurde klar, dass dies mein Ende ist. Und ich rief: Gott, wenn es dich gibt, rette mich !! Und plötzlich zog mich eine unsichtbare kräftige Hand aus dem Loch und legte mich an den Rand, an einen trockenen Ort. Es war keine Menschenseele in der Nähe.Ich wurde sofort ernüchtert. Zuhause angekommen, fiel ich vor meiner Mutter auf die Knie, weinte und bat sie um Vergebung. Ich hörte auf zu trinken und Gott brachte mich in die Kirche und dann ins Seminar. Aber ich muss lange zu Gott beten, dass er mir meine abscheulichen Taten gegenüber meiner Mutter vergibt. Deshalb kann ich nicht ordiniert werden, schloß Konstantin die Geschichte ab.
Eines Tages, nach diesem Vorfall mit den gestohlenen Ikonen,  nach dem Gottesdienst, wandte sich der gottesfürchtige Konstantin an Pheodor und sagte, dass eine Kirchenangehörige gestorben sei und ihre Ikonen unserer Kirche vermachte. Sie wurden ihm übergeben. Dies waren ziemlich große Ikonen. Höchstwahrscheinlich rettete die Verstorbene sie vor einer zerstörten Kirche, die von den Bolschewiki zu Tausenden vernichtet wurden. Konstantin erzählte Pheodor, dass er zum Altar gehen müßte, um zu beten, um herauszufinden, was mit diesen Ikonen zu tun sei. Und er hörte den Namen „Pheodor“. Jetzt gehören sie ihm. Pheodor war von Emotionen tief bewegt. Tränen der Dankbarkeit stiegen ihm in die Augen. Er erzählte Konstantin, wie er sich einem falschen Pilger anvertraut hatte, der ihm alle Ikonen gestohlen hatte. Konstantin, der nie jemanden verurteilte, sagte: Der Schurke. Wie konnte er eine Gastfreundschaft missbrauchen!

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Gott, der große Schöpfer, der Meister der Allegorie. Die Heilige Schrift ist voll davon. Der Bau der Arche von Noah, die zum Symbol der Kirche Christi wurde, in der das Volk Gottes gerettet wird. Der Verkauf des schönen Joseph, der selbst zum Prototyp Christi wurde, der durch seine Brüder in die ägyptische Gefangenschaft, wie Christus nach allegorischen „Ägypten“  an die römischen Heiden durch falsche Juden verkauft wurde, nach dem Wort des Paulus, der  Christen die wahren Juden nannte. Aber nach der Auferstehung wurde Christus wie Joseph der Herrscher über "Ägypten", das Symbol der heidnischen Welt. Die Juden haben ihn verstoßen, aber die Heiden nahmen ihn mit großer Freude auf. Und das heidnische Rom unter Kaiser Konstantin wurde orthodox. Gott, der die Welt erschaffen hatte, und als Krone seiner Schöpfung - einen Menschen,  schoss sozusagen einen Pfeil, der durch dramatische und gleichsam freudige historische Ereignisse fliegt. Der Höhepunkt des Fluges war die Menschwerdung Gottes selbst, in seinem ewigen eingeborenen Sohn, wie sein Opfer am Kreuz. Dann flog der Pfeil in seinem ereignisreichen Flug immer tiefer und spiegelte das Sterben in der Welt des Glaubens wider. Es scheint, dass wir in dieser Zeit leben. Schließlich sagte Christus, wenn ich komme, ob ich den Glauben finden würde. Aber er sagte auch, habe keine Angst du, kleine Herde. Das Königreich meines Vaters im Himmel gehört dir.  D.h.  nur ein kleiner Rest der Gläubigen wird Christus begegnen. Vielleicht werden es zwei oder drei Bischöfe mit einer kleinen Gruppe von Gläubigen an ihrer Seite sein, inmitten eines schrecklichen Abfalls, der die institutionelle Kirche bereits erhaschen hat, und sie zu einer falschen Kirche degradiert. Bis zu dem Punkt, an dem der Antichrist für den wahren Christus gehalten  und  in die Kirche Gottes eingeführt wird, damit er die gesamte Ökumene  herrsche. Dann werden die wahren Gläubigen um des Antichristen willen verfolgt und sogar getötet werden. Es sei denn, sie tanzen mit Götzendienern und springen über das Feuer. Aber der Pfeil, der sich seinen neutestamentlichen Flug durch schreckliche Ereignisse — Kriege, Epidemien, Klimakatastrophen und schließlich nukleares Armageddon — dramatisch zu Ende nähert, wird auf den fröhlichen Neuen Tag fallen. Dieser Tag wird Der Achte und ewig sein. Und die Acht selbst spiegelt die Ewigkeit in ihrer Endlosschleife wider. Christus wird, nachdem er den Antichristen besiegt hat, sein ewiges Reich errichten, und darin werden vor allem die Märtyrer für Christus und alle, die ihm treu sind, getröstet. Die Engel Gottes werden jede Träne für diejenigen abwischen, die Leid und Verfolgung ertragen haben.
So dachte Pheodor und erinnerte sich an die Allegorie in der Geschichte der Bekehrung Konstantins. Als ein Trunkenbold in seiner Rauschgrube wird ein geistig ertrunkener Mensch. Aber in seiner Verzweiflung empfängt er, nachdem er Gott angerufen hat, das Heil. Pheodor war fasziniert über die Weisheit Gottes, die seine Wohnung von ungerecht erworbenen Ikonen säuberte. Als Gott gesagt hätte: „Du warst genauso ein Betrüger wie dieser Pseudo-Pilger. Aber ür deine Demut  in der Gastfreundschaft gegenüber dem Täter, wirst du mit schöneren Ikonen belohnt“. Gott möchte, dass alle gerettet werden. Vielleicht führt er den Pilger auf den Weg der Buße. Pheodor beschloss, für ihn zu beten.

V. Vater Alexei               

Pheodor war so von seiner Theologie mitgerissen, dass er versuchte, eine Metapher über Gottes Plan als „fliegenden Pfeil“ in poetischer Form zu fassen:

Wenn alle plötzlich müde sind,
Die Lebenssäfte werden trocken,
Die Aufgabe will entlocken
Sinnloser Lebensgrind.
Doch Leben ist daran nicht schuld,
Wenn Pfeil vom Bogen hingeflogen,
Und fliegt durch Zeit und ihre Togen.
Verliert der Kosmos seine Huld,
Wohin der Pfeil herfällt?
Dort sich neuer Sinn erhebt.

Wo sich ein neuer Sinn erhebt, wird das ewige Reich Gottes, der ewige achte Tag offenbart. Obwohl dieses Reich geistlich schon in diesem Äon geöffnet war, als Christus am Opferkreuz sagte: Es ist vollbracht. Und durch tiefe Reue kann man bereits in diesem Leben in dieses Reich eintreten. Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen, rief Christus. Und am Kreuze öffnete er den Eingang dahin. Wer hat schon das Königreich betreten? Es gibt Momente bei einem Gläubigen, in denen er sich aus Gnade plötzlich in diesem Königreich wiederfindet und ein Gefühl verspürt, das nicht mit Worten zu beschreiben ist. Aber meist nur für kurze Zeit. Paulus berichtete auch von dieser Erfahrung. Und viele Heilige bezeugten dies, aber niemand blieb lange Zeit dort. Gott erschien Pheodor dreimal. Einmal körperlich, wie eingangs beschrieben. Ein anderes Mal als Logos, der Seine Lehren in das Bewusstsein und das Herz von Pheodor einbrachte. Und das dritte Mal als Gnade des Heiligen Geistes, die einen Zustand verleiht, der mit Worten nicht beschrieben werden kann. Aber dieser Zustand löste sich schnell auf und hinterließ eine unvergessliche Spur in der Seele. Als Zweifel dann und wann Pheodor überfielen, die durch unsere gottlose Zeit verstärkt wurden, erinnerte er sich an diese transzendentalen Visitationen Gottes. Die Gnade, die Pheodor nach der ersten Erscheinung Christi mit nachfolgenden Wundern erlebte, von denen einige oben beschrieben wurden, Pheodor, aus Dummheit und Unerfahrenheit, und vielleicht sogar aus den überresten von Dünkel, gepaart mit fleischlichen Leidenschaften, ziemlich schnell verloren, weil  dieses tolle Geschenk missbraucht hat. Er schämt sich jetzt, sich daran zu erinnern, zu welchen Taten  die geschenkten Fähigkeiten ihn getrieben haben, um alle Wünsche  erfüllt zu haben. Diese Wünsche waren fleischlich und unrein. Anschließend konnte er nur noch weinen, als ihm bewusst wurde, welche Gabe er durch seinen Leichtsinn verloren hatte. Nun wurde er getröstet durch Dienst in der Kirche, wo es  auch Gnade gab,  durch Gebete von den Gläubigen und den gesegneten Priestern akkumuliert. Besonders Vater Alexei gehörte zu solchen Geistlichen. Er war  kunstlos wie ein Kind, aber im Geiste nüchtern. Er betete ständig das Jesus-Gebet: Herr, Jesus Christus, erbarme dich meiner Sünder, das von den Hesychasten-Vätern überliefert wurde. Unter dem Klima eines atheistischen Staates, der jeden Druck auf die Kirche ausübte, mussten Priester wie Vater Alexei sehr vorsichtig sein. Vor allem in der Hauptstadt Moskau. Hier ging der KGB dem Klerus eng hinterher. Ebenso durch seine eingeschleusten Agenten, falsche Priester, die  Beichten von Dissidenten an die Behörden übermittelten. Wenn der KGB sah, dass der Priester hochgeistig war und einen großen Einfluss auf die Gläubigen hatte, wurde er sofort aus Moskau irgendwohin weiter geschickt. Vater Alexei musste sich wie ein Narr stellen, so tun, als wäre er ein Ivanuschka Duratschok (Jochanneslein Dummchen). Die KGB-Spione, die ihn beobachteten, konnten nichts von dem verstehen, was er in seinen Predigten sagte. Er schien in Zungen zu sprechen. Aber die Gläubigen, und das waren meistens die alten Babuschkas,  verstanden ihn perfekt. Die jungen Leute waren auf jede erdenkliche Weise daran verhindert, an Gottesdiensten teilzunehmen. Falls Vater Alexei jemandem vertraute, konnte er sich auf eine wunderbare Weise öffnen, in dem sein Gesicht wie die Sonne  zu leuchten begann. Wie bei großen Hl. Seraphim von Sarow. Dies geschah meist in der Beichte, irgendwo in einer dunklen Ecke der Kirche. Pheodor fühlte sich in der Kirche sehr wohl. Vielleicht lag es gerade an der großen geistigen Kraft von Vater Alexei, die er ausstrahlte und in den Raum der Kirche einspeiste. Aber Pheodor, der von einer Komponistenausbildung träumte, besuchte auch parallel im Moskauer Konservatorium Kurse für Studienbewerber, um sich auf die Aufnahmeprüfungen vorzubereiten. Er hatte seine Kompositionen bereits dem Kompositionsprofessor Nikolajew gezeigt und er ermutigte ihn, indem er sagte, dass sie genau richtig seien. Die Prüfungen waren eine echte Qual. Pheodor musste eine Skizze im Stil von Chopin vollenden. Dann ein dreistimmiges polyphones Diktat nach Gehör zu schreiben. Einen Klavierauszug in mittelalterlichen Tonarten vom Blatt zu spielen.  Einen Choral im Bach-Stil harmonisieren. Usw. usf. So ging es einen ganzen qualvollen Tag. Am nächsten Tag fand ein persönliches Colloquium statt. An ihm fiel der naive Pheodor durch. Es war im Wesentlichen eine ideologische Prüfung des Studienbewerbers. Der Beruf des Komponisten in der UdSSR sollte der Verherrlichung der Parteilinie dienen. Eine sehr attraktive und gebildete Frau mittleren Alters stellte Pheodor Fragen darüber, welche Bücher er liest. Sie versteckte heimtückische Momente in ihre Fragen. So gelang es ihr, Pheodor die Geständnis zu entlocken, dass er ein Gläubiger  und in der Kirche tätig ist. Dies bedeutete, dass er ein ideologischer Feind war. Pheodor hat alle musikalischen Prüfungen bestanden. Aber er stand nicht auf der Liste der aufgenommenen Kollegen. Das Sekretariat deutete ihm an, dass er beim Colloquium gescheitert sei. Pheodor war sehr enttäuscht. Aber zum Glück wurde ihm von Gott der Avantgarde-Komponist Leonid Hrabovsky geschickt — heute verbringt er seine letzten Tage in Kanada, der in einem der Clubs kostenlosen Privatunterricht organisierte. Seine eigeneWerke  als Avantgarde-Künstler waren verboten, aber er hatte Kontakte zu einem alten russischen Verlag in Deutschland. Später war dies für Pheodor sehr nützlich.

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Einmal, in einem schwülen Sommer, trank Pheodor, während er zu Hause Stimmübungen machte, kohlensäurehaltiges Wasser aus dem Kühlschrank. Es entwickelte sich eine akute Stimmbandentzündung. Pheodor, der den Chor leitete, sang den Basspart selbst. Jetzt war es fast unmöglich. Seine Stimme keuchte und brach. Und er musste aufgeben. Ohne Arbeit, und dabei eine sehr angenehme, wusste Pheodor nicht, was er tun sollte. Er wandte sich an Vater Alexei, damit er für ihn betet und sagt, welche Zukunft ihn erwartet. Der Priester verschwand im Altar und kehrte etwa  nach eine Viertelstunde zurück. — Alles wird gut mit dir,  sagte er, aber du wirst Russland verlassen. — Wie ich Russland verlassen werde, wenn hier keine Maus entgleiten kann, fragte Pheodor entgeistert. Vater Alexei antwortete: Ich weiß es nicht. Ich vermittle nur das, was mir offenbart wurde. Ein paar Jahre später begann die Perestroika, und einer seiner deutschen Freunde, ein Russischlehrer am Gymnasium in Schwerte, der oft zum Russisch üben nach Russland kam und bei Pheodor blieb, sagte ihm, jetzt kannst du mich in Deutschland besuchen. Phedor sagte, er wünsche sich eine Komponistenausbildung in Deutschland. Worauf Klaus sagte, dass dies leere Fantasien seien. Pheodor hat kein Geld, laut Gesetz mindestens tausend Mark im Monat nötig sind, und er kann kein Deutsch. Nun, gut, mal sehen, wie Gott will, sagte Pheodor. Er betete eifrig zur Gottesmutter und bat sie, seinen Wunsch nach einer Komponistenausbildung in Deutschland zu erfüllen. Er ist bereits vierzig Jahre alt. Und am Moskauer Konservatorium lag die Altersgrenze für Komponisten bei 26 Jahren. Jetzt wird ihn niemand wegen seines Glaubens bremsen, aber est ist zu spät. Bei einem Konzert im Haus der Komponisten, bei dem ein Komponist aus Deutschland auftrat, erzählte dieser, dass er im Alter von vierzig Jahren dort zu studieren begonnen habe. Er floh selbst aus Nordkorea. Dies ermutigte Pheodor. Und die Mutter Gottes machte ihm klar, dass er erfolgreich sein würde. Und von dem Punkt verlief alles  reibungslos. Das kommunistische Land war geschockt von der verrückten Perestroika. Das Radio  sendete rum um die Uhr, als wäre es ein feindlicher Radiosender Voice of America. Das gesamte offizielle System war ratlos, und Pheodor nutzte diesen Umstand aus und erhielt schnell ein Visum. Was für ein Wunder!  Der Privatlehrer Hrabowsky vermittelte ihm nützliche deutsche Kontakte, und drei Tage später saß Pheodor im Zug nach Deutschland.

                ***
Klaus, so hieß sein deutscher Freund, traf ihn mit seiner jungen Freundin, einer Schülerin aus seiner Russischklasse,  und brachte ihn auf seinem Auto in seine Zweizimmerwohnung in Schwerte. Pheodor erzählte Klaus, dass er noch in Moskau an das christliche Radio Stimme der Hoffnung in Darmstadt geschrieben  und  gebeten habe, ihm einen Studienplatz zu finden. Von dort antworteten sie, dass er eine Prüfung am örtlichen Konservatorium ablegen könne, aber er müsse sich zuerst mit dem Kompositionsprofessor Toni Völker treffen. Am nächsten Tag rief Klaus Toni Völker an und vereinbarte  mit ihm einen Termin. Klaus beteiligte sich gerne an der Simultanübersetzung, denn Pheodor sprach kein Deutsch. Und trotz seiner Pfennigfuchserei hat er die Kosten einer langen Autofahrt nach Darmstadt auf sich genommen – fast  insgesamt 600 km und etwa acht Stunden hin und zurück. Toni Völker begrüßte Pheodor herzlich, lobte seine Partituren und versprach, ihn trotz des problematischen Alters von Pheodor in seine Klasse aufzunehmen. Dies war der erste Erfolg. Nun galt es, sich um Fördermittel zu bemühen. Es war schwieriger. Zum Glück hatte Klaus einen einflussreichen Bekannten, der Verbindungen zu Bildungsstiftungen hatte. Herr Schenk, so hieß sein Bekannter, lud Pheodor in sein Büro ein und bat ihn, nachdem er erfahren hatte, dass Pheodor Erfahrung als Klavierstimmer hatte, sein Flügel zu stimmen. Das war Pheodors erster Verdienst in Deutschland — 120 Mark, ein ganzes Vermögen! Herr Schenk hat Briefe an drei Stiftungen geschrieben, eine hat positiv geantwortet. Aber es gab einen großen dreistufigen Wettbewerb unter Stipendienbewerber aus aller Welt. Außerdem sollte Pheodor von den anerkannten deutschen Komponisten Gutachten und Empfehlungen vorzulegen. Und hier halfen die Kontakte von Hrabowsky. Pheodor rief den russischen Musikverlag in Hamburg an, den dort arbeitenden russischen Komponisten Viktor Suslin (er starb vor einigen Jahren an Krebs), und er vermittelte Pheodor Kontakte zu berühmten Komponisten — Ulrich Leyndecker, Gunther Becker (beide sind bereits tot) u.a. Und Suslin versprach Pheodor von der  Russischen Stiftung in Deutschland unter der Leitung des weltberühmten estnischen Komponisten Arvo Pärt, einem tiefgläubigen orthodoxen Christen,  dreitausend Mark zu überweisen.
Alles geschah, wie es die Muttergottes versprochen hatte!

Fortsetzung folgt

Die ersten beiden „virtuellen“ Runden des Pheodor-Stipendienwettbewerbs waren einfach und erfolgreich. Er hatte schon einige Empfehlungен, einen Ausbildungsplatz. Bei der Auswahl  Pheodors half auch, dass er in der UdSSR wegen seines Glaubens verfolgt wurde, was Pheodor in seinem Lebenslauf nicht besonders hervorhob oder darauf spekulierte. Es stand die letzte entscheidende Antlitz zu Antlitz Runde bevor. Zu diesem Zeitpunkt sagte Klaus Pheodor, dass er ihn nur für einen Monat eingeladen hatte und dass er ihn nicht länger in seiner Wohnung behalten könne. Aber  er hat mit seinem Freund Wolfgang, einem Psychotherapeuten mit einem geräumigen Haus, vereinbart,  dass er Pheodor auf Zeit  übernimmt. (Dem Aufenthalt im Wolfgangs Haus wird ein eigenes Kapitel gewidmet). Und nun brachte Wolfgang Pheodor mit seinem Auto nach Potsdam, wo die Stiftung angesiedelt war und die letzte Kandidatenauswahl im Gange war. Nach längerem Warten wurde Pheodor gerufen. In der geräumigen Halle, an einem halbrund ausgespannten Tisch, saßen neun Männer und Frauen unterschiedlichen Alters. Pheodor stand vor der Kommission, und deren Vorsitzende bat Pheodor, ein wenig  über sich selbst zu erzählen. Ein Monat ist vergangen, seit Pheodor in Deutschland war. Zunächst konnte er in Strömung der deutschen Sprache überhaupt keine Wörter unterscheiden. Und es schien ihm, als würde der Sprecher an Stacheldraht kauen. Die deutsche Sprache kam ihm so hart vor. Dieser Eindruck wurde durch die sowjetische Propaganda verstärkt, die Pheodor von Kindheit an in sich aufgenommen hatte. 80% der Filme handelten vom Krieg, von bösen, aber auch dummen deutschen Faschisten. Die deutsche Sprache in Filmen sollte im Zusammenhang mit den menschenverachtenden Taten der Nazis Abscheu erzeugen. Während des kurzen Aufenthalt in Deutschland lernte Pheodor ein wenig Inhalt der deutschen Sätze zu verstehen. Dazu hörte er täglich Radio. Aber jetzt, im entscheidenden Moment, da er überschlägig verstanden hatte, was man von ihm wünschte, konnte er nicht wirklich einen einzigen Satz aus sich herauspressen. Es war ein leichtfertiges Glücksspiel, diese Tour wissend zu unternehmen, dass das Stipendium zwingende Deutschkenntnisse voraussetzt. Pheodor verließ sich einfach allein auf das Versprechen der Muttergottes, dass alles gut werden würde. Jetzt stand er ratlos da und bewegte verzweifelt die Lippen, wie bei einer Prüfung in der Schule, nachdem er ein unbekanntes Thema bekommen hatte. Das hat die Kommission sofort bemerkt. Zuerst erstarrten sie, und dann begannen sie, sich anzuschauen. Ein Mann bückte sich zu einem anderen und begann ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Alles brach in Pheodor zusammen, er begriff, dass der Fall verloren war. Und jetzt werden sie ihn mit nichts zur Tür hinauswerfen. Und plötzlich erhebt sich eine hübsche junge Frau vom Tisch und sagt mit freudiger Begeisterung in der Stimme: Kollegen, er ist Musiker. Und Musiker haben ihre eigene Sprache. Alle  in der Kommission atmeten erleichtert auf. Als warteten sie auf etwas oder jemanden, der sie aus dieser unangenehmen Situation herausholte. Der Vorsitzende erhob sich und bat Pheodor mit energischer, hoffnungsvoller Stimme, eine Weile vor der Tür zu warten. Dann kam die findige Frau, die wahrscheinlich von der Gottesmutter inspiriert war, heraus und sagte Pheodor, dass er innerhalb von drei Tagen einen Brief mit einer Entscheidung erhalten würde. Drei Tage vergingen, aber kein Brief kam. Pheodor rannte jeden Tag zu dem großen Briefkasten und tastete mit den Fingern  die Ecken ab, aber vergebens. Wieder wurde die Hoffnung von finsteren Gedanken betrübt, dass sie sich wahrscheinlich entschieden, ihn doch abzulehnen. Die sehr liebe und freundliche Ehefrau von Wolfgang - eine praktizierende Katholikin, Marianne, beruhigte Pheodor mütterlich und brachte alle möglichen Erklärungen für die Verzögerung ein. Eine Woche war bereits vergangen, Pheodor betete jeden Tag inbrünstig auf den Knien zur Muttergottes. Er suchte in sich nach dem, was er getan hatte, dass Hl. Maria sich plötzlich von ihm abwandte. Und schließlich, völlig verzweifelt, sagte er Marianne fast unter Tränen, dass er nach Russland zurückkehren müsse. Und gerade zu diesem Moment klingelte das Telefon. Klaus hat angerufen. Er sagte, dass die Antwort an die Adresse von Herrn Schenk gesendet wurde. Dass er auf Geschäftsreise gewesen  und gerade zurückgekommen sei und auf dem Schreibtisch in seinem Büro einen Brief der Stiftung gefunden habe. Er öffnete den nicht, sondern leitete es sofort an Klaus weiter und informierte ihn darüber. Sobald der Brief eintrifft, wird Klaus ihn Pheodor bringen. Hoffnung flackerte wieder auf. Einen Tag später kam Klaus mit dem Brief. Zur feierlichen Eröffnung versammelte sich das ganze Haus von Wolfgang und Marianne. Eine der Töchter von ihnen war mit ihrem Freund zu Besuch bei den Eltern. Ein sehr schönes junges Mädchen. Auch sie nahmen an dem Geschehnis teil. Klaus riss festlich den Umschlag  auf und trug schauspielerisch die Nachricht vor: Pheodor bekam für die gesamte Studienzeit ein Stipendium, 1.050 Mark im Monat! Alle keuchten und klatschten in die Hände. Pheodor explodierte auf der Stelle wie eine Bombe und, unfähig, seine extreme Aufregung vor Freude und überraschung zurückzuhalten, sprang buchstäblich auf schöne Tochter  Wolfgangs und umarmte sie mit seinen starken Armen. Sie stieß ihn schockiert von sich. Und plötzlich, parallel zu der Freude  blitzte es  in Pheodor auf, dass er hier immer noch ein Fremder war. „Kalte Deutsche“, wie es man in Russland  pflegt  zu sagen, akzeptieren solche heißen Gefühlsausbrüche nicht, wie sie bei Russen üblich sind. Aber die freundliche Marianne kündigte das Fest an und fing an spontan ein Leckerli zu sammeln. Im Haus gab es einen wunderbaren Weinkeller, gefüllt mit Wein und Qualitätsbierkisten.
1.050 Mark im Monat! Das ist unglaublicher Reichtum! Denn Pheodor rechnete immer noch die deutsche Währung in Rubel um. Er hatte nicht die Absicht, in Deutschland zu bleiben. Sein Plan war, mit einem westlichen Diplom nach Russland zurückzukehren und dort eine Professorenstelle am Konservatorium einer russischen Stadt zu bekommen. Von  dem gesparten Geld Geräte für ein Studio für elektronische Musik zu kaufen. Aber alles kam anders.

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VI. Studien
Pheodor wurde der Familie der sanften und freundlichen Wolfgang und Marianne sehr verbunden, die ihn auf eine Zeit aufnahmen, während er finanzielle Mittel für sein Studium zu finden versuchte. Jetzt hatte er ein anständiges Stipendium, von dem er nur träumen konnte. Und nun musste er nach Darmstadt ziehen, wo Tony Völker, Kompositionslehrer an der Akademie für Tonkunst, bereits auf ihn wartete. In Darmstadt angekommen, ging Pheodor zunächst zur russischen Kirche, wo er Vater Slawomir kennenlernte, einen freundlichen und witzigen Ukrainer. Er nahm Pheodor für ein paar Tage zu seiner Familie und verabredete sich dann mit dem Küster seiner Kirche, einem orthodoxen Italiener, der mit der Tochter eines russischen Einwanderers der ersten Welle verheiratet war. Und er stellte Pheodor kostenlos ein kleines Zimmer zur Verfügung, etwa sechs Quadratmeter auf dem Dachboden.
Interessanterweise wurde die russische Kirche in Darmstadt von Zar Nikolaus II. auf einem Hügel aus russischem Boden erbaut (als Geschenk an seine Braut, Prinzessin Alix von Hessen), der zusammen mit anderen Materialien auf Lastkähnen aus Russland  mitgebracht wurde. Alix (später russische Zarin Alexandra) wurde am 6. Juni 1872 im Neuen Schloss in Darmstadt als Prinzessin Alix Victoria Helene Louise Beatrix von Hessen und am Rhein (des damals zum Deutschen Reich gehörenden Groüherzogtums) geboren. Sie war das sechste Kind und vierte Tochter von sieben Kindern von Ludwig IV., Großherzog von Hessen, und seiner ersten Frau, Prinzessin Alice von Großbritannien, der zweiten Tochter von Königin Victoria und ihrem Ehemann Albert, Prinzgemahl. Die Kirche ist eine besondere Sehenswürdigkeit Darmstadts und steht unter staatlichem Schutz als Denkmal der Geschichte und Kultur.
Da Pheodor immer noch vorhatte, nach seinem Diplom nach Russland zurückzukehren, gab er sein Geld sehr sparsam aus und sparte es für ein elektronisches Studio. Er aß fast nichts als Haferflocken, damit schnell 10.000 Mark angespart. Tony Völker sagte Pheodor, er müsse spätestens in zwei Monaten ein Referat zu dem vorgegebenen Thema schreiben. Unter Stressbedingungen machte Pheodor in dieser Zeit große Fortschritte beim Deutschlernen. Und er konnte es nicht nur verstehen, sondern auch sprechen. Tony Völker behandelte seine Schüler mit Zärtlichkeit. Es waren alles echte Originale. Vielfältig in Charakter, Begabung und Weltanschauung, freundliche und solidarische junge Menschen. Bis auf einen, der nicht so gut ins Team gepasst hat. Und bei Pheodor und ihm auf den ersten Blick entstand eine versteckte gegenseitige Antipathie. Es gab auch komische Fälle. In der Garderobe  wurde er von einem Lehrer der Akademie gegen die Wand gedrückt und der Mann begann Pheodor leidenschaftlich ins Ohr zu flüstern, dass er Kommunist sei. Während er drehte sich ängstlich um.  Pheodor, selber negativ vom kommunistischen System in Russland betroffen, wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte. Und er entschuldigte sich dafür, dass er gleich zum Unterricht muss, und war schnell davon. Pheodor lernte gerne bei Tony Völker. Er spürte das Interesse des Lehrers an sich und die ständige Unterstützung. Einschließlich der menschlichen. Tony war ein Anhänger der Neuen Wiener Schule. Deren berühmteste Vertreter waren Arnold Schönberg, Anton Webern, Alban Berg u.a. Seltsamerweise überwand Pheodor  diese streng akademische Richtung bereits in Russland und hielt an einem freieren Stil fest. Völker gefiel das nicht sehr. Aber als Pheodor  zeigte, dass er die Technik der Wiener Schule vollständig beherrsche, indem er ein Stück speziell für Violine und Klavier komponierte, akzeptierte  es Tony. Es war nicht einfach, unter Studenten einen Interpreten zu finden, der sich für Neue Musik interessiere. Am Ende des Semesters hatte Pheodor ein Stück speziell für Flöte solo komponiert. Die Flötistin war aus der Tschechoslowakei, die Toni Völker vorher speziell für  die Aufführung Pheodors Stücks arrangiert hatte. In dieses Stück integrierte Pheodor ein dadaistisches Gedicht, das der Glossolalie ähnelte – dem Zungenreden, das in der Apostelgeschichte beschrieben wird. Insgesamt erweckte das Stück, das verschiedene moderne Techniken der Klangerzeugung verwendete  wie frullato (Flatterzunge), ein Spiel kombiniert mit Singen und Sprechen, Multisonics, Pfeifen, Zischen, Klopfen und andere exotische Klänge - den Eindruck eines heidnischen schamanischen Rituals. Dieser Stil war sehr weit entfernt von der akademischen Wiener Schule von Toni Völker. Dieser Stil tendierte eher zu der neuen sonoren Richtung von Luigi Nono, Sofia Gubaidulina, Helmut Lachenmann u.a. Pheodor, an russische Nachlässigkeit gewöhnt, war erstaunt über die Ernsthaftigkeit und Sorgfalt, mit der Katherina (so hieß die Flötistin) sich mit seinem Stück befasste. Sie rief Pheodor ständig an, um zu überprüfen, ob sie die Zeichen in den Noten richtig verstanden und vorgetragen hatte. Erstaunlich, wie man im Hessen alles sehr ernst genommen hat. Und infolgedessen begann Pheodor, sich selbst ernst zu nehmen.

Fortsetzung folgt


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