Hoffnung

Ich laufe durch den Hain, verfolgt von den göttlich begehrten Geistern des Wahnsinns. Sie sind schneller als ich, meine einzige Rettung besteht darin, dass ich ein Stück von mir an sie verfüttere und nach jeder Schenkung werde ich immer langsamer.
Ein Teufelskreis.
Die laublosen Äste liebkosen meine Haut, bis mein Körper blutet. Die Nachtluft des Waldes duftet nach Frische und Erde. Ich habe beinahe keine Lungen mehr, sie haben sich zersetzt. Ich laufe immer weiter auf der heißen Erde. Es riecht nach verbranntem Fleisch, meine Rippen ragen aus meinem Bauch hervor. Wie viele habe ich noch?
"Ich will leben!" ertönte meine heisere Stimme in der drückenden Finsternis der gesegneten reinigenden Nacht.
"Lasst mich leben!" flehte ich die Einzigen mit weinender Stimme an. Meine leeren Augenhöhlen füllten sich mit den roten Tränen, die kurz darauf über mein verwestes Gesicht in vielen Strömen herunter flossen.
Ein Etwas krächzte unter meinen fersenlosen Füßen und ein anderes Etwas zischte in der Höhe über mir. Die wunderschöne bezaubernde Melodie des gebärenden Todes.
Verzweiflung, Angst, Wut, Hass, Ohnmacht, Tränen, ein all erschütternder Schrei. Und... das Ende. Ich bin am Ende, ich habe nichts mehr, nur noch einen Schatten meines Ich.
Nur eine Essenz.
Ich kann nicht mehr laufen, ich krieche aus letzter Kraft und die Erinnyen kommen langsamen Schrittes auf mich zu.
"Es war Wahnsinn gegen Wahnsinn zu kämpfen" wähnte ich, gedacht zu haben.


Ein schöner nackter junger Mann lag in der Mitte eines sonnenbeschienenen Waldes mit dem Gesicht nach unten. Er schlief anscheinend. Er war wunderschön und lag da, als wolle er die Erde selbst befruchten. Der sanfte Wind schien ihn zu lecken, die Bäume sangen ihm ein Schlaflied, sein Haar verschmolz mit dem Gras.
Er hob langsam den Kopf und stand allmählich auf. Sein entzückendes Glied schaute dem Himmel entgegen. Es spreizte die Arme, inhalierte die lebensspendende Luft und öffnete die Augen.
Die Qualen verzerrten sein Gesicht. "Warum?" warf er verzweifelt vor sich hin.
Etwas sprang aus seiner Brust und lief davon.
Das berückende Fleisch sackte mit sanft aufgerissener Brust zu Boden. Die wertvolle vergängliche Schönheit der Begierden.
Das Etwas lief noch lange weiter, bis es schließlich innehielt und sich verängstigt umsah.
"Ich bin frei!" heulte es laut und freudig.


"Die Hunde, die bösen Hunde verfolgen mich!"
Ein kleiner Junge lief durch die Kanalisation einer großen Stadt in der Hoffnung durchs Wegrennen das eigene Leben retten zu können. Der Naive.
Er wusste nicht, wer seine Verfolger waren. Die Hunde? Vielleicht.
Es war nicht mehr wichtig, der Junge lief bereits seit Tagen. Erschöpft beinahe tot und hungrig.
"Mama! Mama!" weinte er. Die Tränen strömten über sein Gesicht.
Ein hoffnungsloser Schrei der zerrissenen Seele. Der brechende Wille, zum Leben.
"Mama! Mama! Bitte hilf mir!" schrie er. Die abgenagte Leiche seiner Mutter hatte er schon längst hinter sich.
Laufen, laufen, laufen, springen, laufen, klettern, wieder springen, nach links, nach rechts, abbremsen, das nach Fäkalien stinkende Wasser... eintauchen, auftauchen, dann laufen, laufen, laufen, laufen, laufen, laufen...


Das fallende Blatt des Ostens, der aufspeisende Hauch des Nordens ,das hypnotisierende Flüstern des Südens und das erlöschende Licht des Westens schwebten an einer runden Scheibe in der Bläue und tranken grünes Weiß.


"Ich sehe eine Oase da vorne" schrie eine Frau ihren Gefährtinnen zu.
"Eine ziemlich große Oase!"
Sie eilten auf die Oase zu, hoffend, es bis zum Nachteinbruch bis dorthin zu schaffen.
Es dämmerte. Der Sand um die Oase war nicht so nachgiebig wie sonst wo.
"Es riecht nach Wasser, nach Nässe, spärt ihr?"
"Ja"
Es war stockdunkel, als sie die Insel erreichten.
Sie fanden ein kleines Seelein und tranken sich voll daraus. Danach legten sie sich schlafen. Sie waren zu siebt.
Die heilsame Nacht verging allmählich.
Die Erste, die aufgewacht war, starb im gleichen Moment.
Die Zweite wurde blond und ohnmächtig.
Die Dritte erlag am Herzversagen.
Die Vierte lag noch lange mit offenen Augen.
Die Fünfte erstickte.
Die Sechste blieb stehen.
Die Siebte wachte nie auf.
Die tausendäugige Seele schaute auf sie mit toten Augen.

 

Feb. 2001 in einer Nacht zwischen 00:30 und 3:00


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