Дочь Иеффая

Надия Медведовская
Lesja Ukrainka

Die Tochter von Jeftah

Lass mich, mein Vater, auf die Berge gehen,
Wo Fruehlingsblumen von dem Golde gluehen,
Wo Mandelbuesche in dem Wind abbluehen –
Lass Blumenregen ueber mich zerstreuen,
So meine Jugend feierlich beweinend.

Dort soll das ganze Land zur Ansicht liegen,
So will ich mehr von ihm  zum Abschied sehen,
Als ich gesehen fuer mein kurzes Leben,
Der heitren Sonne will ich naeher werden,
Ihr sagen: du, die Froehiche, leb wohl!

Lass mich, mein Vater, auf die Berge gehen!
So will ich alle Freundinnen jetzt sammeln,
Die ich noch  nie so echt und zart geliebet,
Als jetzt, vor meiner letzten Lebensstunde.
Die Traenen sollen nicht vergossen werden,
gedenken wir der Jugend  mit den Liedern.

Ich schenke meine Traeume goldnen Blumen,
Und meine Maedchenfreiheit – fernem Winde,
Die Wuensche fallen ab, wie Fruehlingsblueten,
Und aus den Gedanken wird  ein Lied.

Mag ich der schwarzen Erde angehoeren –
Tu das, was du dem Herrn gelobet hast,
Und das, was auf den Bergen wird gesungen,
Gehoert der Sonne und den Fruehlingswinden.
Das Blut verfliesset, und das Lied fliegt fort...

Lass mich, mein Vater, auf die Berge gehen!
Und fuerchte nicht, dass ich nicht wiederkehre,
Dass ich schon keine Kraft dazu bekomme,
Das schoene Fruehlingsleben abzugeben.
Nein! Kehre ich zurueck, still und demuetig,
Wie eine Blume, neig` ich  mich zum Steine...
Ich weiss: ein solches Lied  kehrt nicht mehr wieder,
Auch wenn ich hundert Jahre leben wuerde,
Und solches Leben wird nicht mehr erfahren,
Wie auf dem hohen  Berg zur Abschiedstunde.
Schenk mir, mein Vater, diese letzte Zeit!
 
Lass mich, mein Vater, auf die Berge gehen,
Wenn du von deiner Tochter auch erwartest,
Dass unerschrocken bleibt sie vor dem Tode,
Dass sie nicht weint, auf  hohe Berge sehend,
Und schluchzend sieht nicht um nach froher Sonne,
Dich, Gott und Menschen  letzlich nicht verflucht!

4/II/1904, Tbilisi